Streit um AtomkraftwerkBeznau 1 steht seit einem Monat ungeplant still
Die Axpo prüft, ob sie das AKW Beznau über 2030 weiterbetreiben soll. Doch nun gibt es unerwartete Probleme. Atomgegner sehen sich bestätigt. Der Stromkonzern kontert.
- Block 1 des AKW Beznau steht ungeplant seit einem Monat still.
- Neue Untersuchungen zeigen: Der Stahl in einem Teil der Anlage ist spröder als erwartet.
- Greenpeace wirft der Beznau-Betreiberin Axpo vor, den Fall herunterzuspielen.
- Block 1 könnte frühestens am 28. Oktober wieder hochgefahren werden.
Seit 1969 produziert Block 1 im Kernkraftwerk Beznau Strom, Block 2 seit 1971. Zusammen sind es rund 6 Terawattstunden pro Jahr, was etwa dem doppelten Strombedarf der Stadt Zürich entspricht. Der Stromkonzern Axpo prüft derzeit, ob er das älteste noch laufende Kernkraftwerk der Welt über 2030 hinaus betreiben soll – ein Plan, der von Atomgegnern scharf kritisiert wird.
Nun aber steht Block 1 ungeplant still, und das seit einem Monat. Am Freitag, 27. September, hatte die Axpo angekündigt, den Meiler «kurzzeitig» vom Netz zu nehmen, wegen eines defekten Stromkabels im nicht-nuklearen Teil der Anlage.
Die Arbeiten kamen planmässig voran, und so hätte Block 1 wie vorgesehen einen Tag später wieder in Betrieb gehen können. An jenem Samstag teilte der Stromkonzern jedoch mit, der Neustart verzögere sich.
Der Grund liegt in einer Untersuchung, die damals schon länger lief. Im Mai hatte die Axpo im Rahmen der Jahresrevision von Block 1 am Speisewasserbehälter Stahlproben entnommen. Just am Freitag, 27. September, trafen neue Resultate der Untersuchung ein. Der Befund: Bei tieferen Temperaturen könnte der Stahl «spröder sein als angenommen».
Wie viel der Ausfall kosten wird, ist unklar. Branchenexperten schätzen, dass der Axpo im letzten Monat Stromverkäufe in der Höhe von 18 bis 20 Millionen Franken entgangen sind. Die Axpo selber kommentiert das nicht. Sie muss für den Strom, den Block 1 derzeit nicht produziert, Ersatz beschaffen. Erst wenn dies abgeschlossen sei, liessen sich die Gesamtkosten abschätzen.
Start frühestens am 28. Oktober
Block 1 wird frühestens am nächsten Montag wieder in Betrieb gehen, wie die Transparenzplattform der europäischen Strombörse zeigt. Sicher ist der Termin allerdings nicht. Das sei der aktuelle Stand der Planung, sagt Axpo-Sprecher Noël Graber. «Da der Zeitbedarf für die Abklärungen aber schwer abschätzbar ist, können wir zurzeit keine konkreteren Angaben machen.»
Atomgegner werten den ungeplanten Ausfall als Beleg dafür, dass Kernkraft nicht jener zuverlässige Energielieferant ist, als den ihn die Nuklearbranche darstellt. «Die Situation erinnert daran, dass mit Atomkraft ein Klumpenrisiko verbunden ist», sagt Florian Kasser, Atomexperte bei Greenpeace.
Die Axpo entgegnet, dass ihre Kernkraftwerke – nebst Beznau ist das Leibstadt – im langjährigen Mittel während rund 90 Prozent der Zeit verfügbar seien. Das sei im internationalen Vergleich überdurchschnittlich.
Der bislang längste Stillstand dauerte drei Jahre – und betraf Beznau 1. 2015 entdeckte die Axpo im Stahl des Reaktordruckbehälters Aluminiumoxid-Einschlüsse und musste danach in aufwendiger Arbeit nachweisen, dass die Befunde die Sicherheit des Reaktors nicht schmälern. Das Ensi, die Atomaufsicht des Bundes, gab 2018 schliesslich grünes Licht für die Wiederaufnahme des Betriebs.
Atomaufsicht begrüsst Axpo-Entscheid
Die Axpo versichert: Mit den damaligen Problemen liesse sich der aktuelle Fall nicht vergleichen. Die Speisewasserbehälter sind Teil des Sekundärkreislaufs und liegen damit im nicht-nuklearen Teil der Anlage – anders als der damals betroffene Reaktordruckbehälter, der das Herzstück eines Kernkraftwerks ist und aus Sicherheitsgründen keinesfalls versagen darf.
Es geht laut Axpo jetzt also um die konventionelle, nicht um die nukleare Sicherheit der Anlage. Gemäss Ensi war wegen der Speisewasserbehälter zu keiner Zeit ein Kriterium für die vorläufige Ausserbetriebnahme erfüllt. «Trotzdem haben wir beschlossen, mit dem Anfahren der Anlage zuzuwarten», sagt Axpo-Sprecher Graber.
«Liegen neue Erkenntnisse vor, gehen wir den Ursachen auf den Grund und entscheiden konservativ.» Das Ensi begrüsst diese «sicherheitsgerichtete Entscheidung». Die Axpo habe nachzuweisen, dass ein grossflächiges Versagen der Speisewasserbehälter ausgeschlossen sei.
«Kein Atomkraftwerk bleibt wegen einer Kleinigkeit einen Monat abgeschaltet»
Kasser von Greenpeace vermutet derweil, dass Alterungsschäden die Ursache für das Problem bei den Speisewasserbehältern sind. Die Axpo entgegnet, aktuell deute nichts auf einen Alterungseffekt hin: «Es kam auch nicht zu einem Schaden.» Zudem zeige der Stahl im Block 1 bei Betriebsbedingungen die erwartete Materialeigenschaft auf. Schliesslich, so die Axpo, gebe es aktuell keine Erkenntnisse, die den Betrieb von Block 2 infrage stellen würden. Das Ensi bestätigt das.
Greenpeace wirft der Axpo vor, den Fall herunterzuspielen. «Kein Atomkraftwerk auf der Welt bleibt wegen einer Kleinigkeit für einen Monat abgeschaltet, der Kostendruck ist da viel zu hoch», sagt Greenpeace-Atomexperte Kasser. Insofern bleibe dieser erneute, längere Stillstand erklärungsbedürftig.
Wenn die Versprödung nicht ein Alterungsphänomen sei, so Kasser, sei der Stahl wohl seit Inbetriebnahme der Komponente von ungenügender Qualität. Gerade mit Blick auf die Planspiele, die Anlage über 2030 hinaus zu betreiben, müsse die Axpo deshalb «transparente Aufklärung» leisten.
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