Kendrick Lamars neues AlbumLamar vs. Drake – das letzte Kapitel?
Ohne Vorankündigung veröffentlicht der Rapper ein Album, das allerletzte Worte im epischen Beef mit Drake liefert. Und ansonsten etwas bemüht am eigenen Mythos arbeitet.
- Kendrick Lamar veröffentlicht überraschend ein neues Album mit 12 Tracks.
- Der Rapper ignoriert den Streit mit Drake und setzt auf spirituelle Botschaften.
- Produzent Jack Antonoff bringt eine poppige Dynamik in Lamars neue Lieder.
- Kamasi Washington und SZA bereichern das Album mit Jazz- und R-’n’-B-Elementen.
Irgendwann kommt immer der Tag, an dem der Gegner im Kampf das letzte Wort hatte. An dem die multiplen Fronten final geklärt sind. Und an dem nach dem grossen Wirbel- und Zeichensturm plötzlich alles wieder ganz ruhig ist, so ruhig wie frisch abgekühlter Asphalt mit Wolken drüber. Für echte Kriegerinnen oder Krieger, ob sie nun Heiligenschein tragen oder bloss die mit bösem Geld gekaufte Cartier-Uhr, bleibt dann nur noch eine Option. Nämlich: das allerletzte Wort zu haben. Oder sogar: das allerallerletzte.
Und, tja, hier ist so eines. Kendrick Lamar, einer der grössten, besten und literarisch beschlagensten Rapper der Gegenwart, hat sein neues Album «GNX» veröffentlicht, in der mitteleuropäischen Nacht von Freitag auf Samstag. Überraschend, ohne jede Ankündigung.
Also mit ähnlich extrem salopper Geste, mit der er im Frühjahr mehrfach Songs ins Netz stellte, mit denen er die öffentliche Pingpong-Fehde gegen den Kollegen Drake führte. Es ging darin um Vorwürfe von sexuellem Missbrauch und kultureller Aneignung. Um äusserst persönliche Vaterschaftszweifel, um die abstrakte Frage, was wahren Hip-Hop ausmacht, und immer so weiter.
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Drake jedenfalls – auch einer der grössten Rapper der Gegenwart, wenn auch deutlich weniger literarisch, dafür kommerziell noch wesentlich erfolgreicher – hatte die schlagzeilengesättigte Debatte Anfang Mai mit einem Stück beendet, in dem er den Waffenstillstand ausrief, freilich ohne Verhandlung. Und dem Opponenten am Ende vitriolisch alles Gute und eine gelungene Verarbeitung seiner Traumata wünschte. «The Heart Part 6» nannte Drake den Track.
Eine spöttische Anspielung auf die 2010 von Kendrick Lamar gestartete, im Lauf der Jahre durchnummerierte Songreihe. Deren bis dahin letzte Folge «The Heart Part 5» eine fiebrige Rede über den Status quo der US-amerikanischen Black Community gewesen war.
Jetzt, auf dem neuen, eben vom Himmel gepurzelten Album, bringt Lamar sein eigenes «Heart Pt. 6», setzt die Serie mit einem sonntagswarmen Soul-Gospel-Rap fort – und entwertet damit Drakes fast gleichnamigen Schmoddersong wie ein väterlicher Busfahrer das schlecht gefälschte Schülerticket. Lamar erwähnt den Gegner kein einziges Mal, auch sonst nirgendwo auf dem Album.
Und ruft stattdessen die neue Devise aus, in Form eines Refrains, den seine Produzenten aus einem Song des 90er-R-’n’-B-Frauentrios SWV herausgesampelt haben: «Use your heart and not your eyes.» Sinngemäss: So schwer auch alles ist, lasst uns die Welt doch ein bisschen buddhistischer sehen, ey. Das tägliche Brot der «Kleiner Prinz»-Leserschaft.
Fühlt mal lieber die Vibes
Kendrick Lamar, das muss man vielleicht dazusagen, galt durchaus schon vorher als moralischer Sieger des Drake-Beefs. Als Kämpfer mit den besseren Argumenten, der grösseren technischen Raffinesse. «Not Like Us», einer seiner Diss-Tracks, wurde zum veritablen Hit, der auch ausserhalb des Battle-Kontexts glitzern konnte. Dazu kam die Meldung, dass Lamar im Februar 2025 die strahlkräftige Halbzeitshow der Superbowl gestalten würde. Nur drei Jahre nachdem er dort schon im Rahmen einer Hip-Hop-Revue aufgetreten war.
Also: Obwohl «GNX» streng genommen die finale Redemeldung im Battle ist, gibt es eigentlich keine Rechnung mehr, die Lamar zu begleichen hätte. Wie er das am Ende trotzdem tut, quasi als grosszügiges Diss-Trinkgeld, das ist – wie meistens bei ihm – eine grosse öffentliche Übung in virtuos angewandten Skills, praktizierter Achtsamkeit und Sound-Arithmetik.
Inszenierung als Schmerzensmann
Wenn auch kein titanisches Manifest zur Lage der Dinge, wie es einige seiner früheren Werke waren. Und wie man es sich im kältestarren Spätherbst 2024 von Lamar heimlich gewünscht hätte. «Fuck a double entendre, I want you all to feel this shit», rappt er hier gleich am Anfang: Heute keine Lust auf Verkopftheit. Fühlt lieber mal die Vibes.
Als fundamentalen Kollateralnutzen des Drake-Streits kann man werten, dass der aus New Jersey stammende Produzent Jack Antonoff an fast allen der neuen Stücke mitgewirkt hat. Antonoff kennt man vor allem als Miterfinder der millionen- und milliardentauglichen Musik von Lana del Rey und Taylor Swift. Als Drake in einem seiner Schmäh-Tracks Lamar vorwarf, Angst vor der Konkurrenz durch Swift zu haben, reagierte der Beschuldigte einfach damit, dass er Antonoff für den nächsten Song an Bord holte.
So ist er auch hier dabei und bringt – wobei solche Höreindrücke immer höchst volatil sind – eine rotbackige Popzugkraft in einige der Stücke, lässt sie schneller, schlüssiger und impulsiver zum Punkt kommen, als man es von Lamar sonst gewohnt ist.
Auch Neojazz-Feuerkopf Kamasi Washington, der schon 2015 für ihn spielte, ist bei einem Song als Co-Produzent dabei: bei «Luther», einem spirituell-fulminanten Himmelsflug mit grossem Orchester und Old-School-Electro-Beat. Auf dem Lamar im Duett mit R-’n’-B-Kronprinzessin SZA vielfarbig um die Macht der Liebe herumsummt: «Better days comin’, for sure.»
Einiges hört sich hier wie ein Abschied an, ein Resümee der Ernüchterung darüber, was man mit Kunst erreichen kann und was nicht. Ob und wann Kendrick Lamar dabei über die öffentlichen Diskurse als solche spricht und wann übers rein persönliche Ehrgefühl, bleibt allerdings unklar. «TV Off» klingt wie ein dramatischer, von Schlachtfeldbläsern angetriebener Appell, sich durch mediale Donnerstürme und falsche News nicht zu sehr von der Strassenrealität ablenken zu lassen – den offensichtlichen Querverweis zu Gil Scott-Herons 70er-Klassiker «The Revolution Will Not Be Televised» zieht Lamar in einer Strophe sogar explizit.
Wenn er dann aber im erwähnten «Heart Pt. 6» die alten, vermeintlich schönen Zeiten der Rap-Industrie glorifiziert und andeutet, dass er sich aus diesen Sphären nun endlich emanzipieren will, glaubt man eher, ihm bei der Arbeit am eigenen Mythos zuzusehen.
Kendrick Lamar hat sich immer gern als Schmerzensmann inszeniert, als Leidender auf dem schweren Weg zur Befreiung und Epiphanie. Er trat bei den MTV Awards in Sklavenketten auf, trug freiwillig die Dornenkrone, stellte bei der letzten Tour sogar das berühmte «Esquire»-Cover von 1968 nach, auf dem Muhammad Ali mit Pfeilen im Leib als Heiliger Sebastian posierte. So gesehen ist «GNX» das Bild eines Zwischenstadiums.
Die Blutspuren vom Kampf mit Drake sind abgewischt, der Buick GNX Regal ist aufgetankt. Aber auf welcher Strasse es für ihn jetzt wohin gehen soll, das verrät diese Stückesammlung nicht.
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