Skifahrer Mauro CaviezelKaum ein Körperteil blieb heil – nun hat die Vernunft gesiegt
Der 34-Jährige Bündner hat sein grosses Talent mehrfach unter Beweis gestellt. Doch er wurde immer wieder durch Verletzungen zurückgeworfen. Der letzte Sturz war der eine zu viel.
Die Bühne gebührt dem Hauptdarsteller. Insofern könnte die Kulisse kaum passender sein. Mauro Caviezel hat ins Kino von Wengen geladen, um zu erklären, was am Dienstag publik wurde: Für den 34-Jährigen ist Schluss – sofort. «Es war nicht ganz einfach, diesen Entscheid zu fällen», sagt er.
Doch letztlich hat die Vernunft gesiegt. «Es gibt ein Leben nach dem Sport, ich darf so gesund wie möglich aufhören, das ist ein Privileg.»
Was ist vor dem Sturz geschehen?
Wobei «so gesund wie möglich» eben auch heisst: Für den Spitzensport reicht seine Verfassung im Moment nicht mehr aus. Der Sturz in der Abfahrt von Lake Louise – es war der Sturz zu viel. Für die Rennen in Kanada kehrte der Bündner zurück, nachdem er sich im Januar 2021 im Training zur Abfahrt von Garmisch-Partenkirchen ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen hatte. Die Folgen davon: Unter anderem massive Sehstörungen. Die Hoffnung habe er danach nie aufgegeben, sagt Caviezel. «Ich war vor Lake Louise intern bei den Leuten und dachte: Es geht, mit ein paar Rennkilometern kommt alles wieder zurück.»
Diese Gewissheit wird am 27. November über den Haufen geworfen. Caviezel hat keine Erinnerung mehr an den Sturz, aber er liess sich Videos davon geben. Bestimmt 100 Mal habe er sich die Szene angeschaut, hält er fest. Erklären kann er sich den Vorfall immer noch nicht ganz. «Ich bin überzeugt, dass unmittelbar vor dem Sturz etwas vorgefallen sein muss. Ich war nicht bei mir, das sehe ich, weil ich mich nicht wehre, als ich zu Boden gehe. Habe ich davor einen Schlag von hinten abbekommen? Ich weiss es nicht.»
Was wäre, wenn?
Noch vor Neujahr absolviert Caviezel mit seiner Partnerin einen Skitag. Die beiden erstellen danach eine Liste bezüglich der Zukunft, mit vielen Pros und wenigen Contras, «aber von den Contras gab es dafür wichtige». Eine Rückkehr in dieser Saison wäre nicht mehr möglich gewesen. Und er spürte in seinem Umfeld eine gewisse Zurückhaltung. Ein Konditionstrainer habe ihm schliesslich ein sehr persönliches E-Mail geschrieben, «mit klaren Worten, die mir sehr gut taten.»
Wenn Caviezel da vorne auf der Bühne ruhig Red und Antwort steht, kommt man kaum darum herum, sich die «Was wäre, wenn?»-Frage zu stellen. Sein Talent hat der Bündner immer wieder unter Beweis gestellt. 2017 mit WM-Bronze in der Kombination, am Ende der Saison 2019/2020 mit der kleinen Kristall-Kugel für die Super-G-Wertung. Es war sein erfolgreichster Winter mit fünf Podestplätzen. Dem Spätzünder, der er nicht zuletzt wegen der vielen Verletzungen wurde – in seiner Krankenakte stehen unter anderem Wadenbeinbrüche, Achillessehne- und Kreuzbandrisse –, schien der Knopf endlich aufgegangen zu sein. Es sollte anders kommen. Und doch ist aus dem Leidenden kein Hadernder geworden. Er sagt: «Ich misse keine Extrarunde, die ich gehen musste, für das, was ich an Emotionen zurückbekam.»
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