Soziale Ungleichheit in den USAJoe Biden versucht, die Reichsten fair zu besteuern
Ein Paradox des amerikanischen Denkens: Reformvorschläge scheitern jeweils am Mythos, dass jeder einmal reich werden könnte und dafür nicht «bestraft» werden sollte.
Der Vorschlag des Präsidenten wird zwar von einer starken Mehrheit der Amerikaner unterstützt. Auch versucht es Biden mit einer kreativen Definition von steuerbarem Einkommen. Zwar ist Vermögen kein Einkommen und kann gemäss der Verfassung nicht als solches besteuert werden. Biden umschifft dieses Hindernis, indem er nicht das Vermögen selber, sondern das Wachstum des Vermögens belasten will.
Wenn also etwa der Wert des Facebook-Aktienpakets von Mark Zuckerberg von 30 auf 60 Milliarden Dollar zunimmt, könne das als Einkommen behandelt werden, argumentiert die Regierung. Dies wäre selbst dann möglich, wenn Zuckerberg den Buchgewinn nicht realisiert.
Es ist ein gewagter Versuch, die seit Jahren blockierte Debatte um eine faire Besteuerung der Reichsten der Reichen voranzubringen, die in vielen Fällen weniger Einkommensteuern zahlen als die durchschnittliche amerikanische Familie.
Steuerexpertinnen und Steuerexperten der Regierung hoffen, dass die Umdeutung von Vermögenswachstum als Einkommen vom Bundesgericht nicht rundweg zurückgewiesen werden kann. «Ich sehe keinen Grund, weshalb das Bundesgericht Nein sagen könnte», meint Jason Furman, Harvard-Ökonom und ehemaliger Wirtschaftsberater der Regierung Biden. «Dies ist auch ein guter Ansatz, die Steuern progressiver auszugestalten.»
«Man kann nicht etwas besteuern, das man noch nicht verdient hat.»
So gut die Argumente sein mögen, so schwer ihr Stand im Kongress. Von republikanischer Seite wird es keine einzige Ja-Stimme geben, wie frühere Debatten zeigten. Somit braucht Biden sämtliche Stimmen der Demokraten. Keine einzige abweichende Stimme ist erlaubt.
Doch da tritt einmal mehr Joe Manchin, Senator aus West Virginia, auf den Plan. «Man kann nicht etwas besteuern, das man noch nicht verdient hat», sagt er. «Es gibt andere Wege, dass alle ihren gerechten Anteil bezahlen, aber nicht mit unrealisierten Gewinnen». Nicht klar ist, wie seine Alternative aussieht. «Wir sollten stolz darauf sein, dass unser Land so viel Reichtum produzieren kann.»
Pelosis Widerstand
Allerdings könnte Biden bereits im Abgeordnetenhaus scheitern, obwohl er hier eine etwas grössere, auch wenn noch immer dünne Mehrheit hat. Ein Hindernis ist Nancy Pelosi, die schwerreiche Kongresspräsidentin. Sie markierte bereits letzten Herbst Distanz, als eine direktere Form der Reichtumssteuer zur Debatte stand, die schliesslich sang- und klanglos scheiterte.
Pelosi sprach verächtlich von einem «öffentlichen Stunt», sagte aber auch, es werde irgendwann mal eine Reichensteuer geben. «Aber nicht jetzt, sie bringt zu wenig ein.»
Viel Zeit bleibt der Regierung nicht, die Reihen zu schliessen, da der bald einsetzende Wahlkampf Kompromisse im Kongress nahezu unmöglich macht. Hinzu kommt, dass das Bundesgericht in seiner jetzigen Zusammensetzung, trotz der neuen Definition durch die Regierung, die Milliardärssteuer als verfassungswidrig beerdigen dürfte.
Der Plan sieht eine minimale Steuer von 20 Prozent auf Einkommen von über 100 Millionen Dollar vor, wobei der noch nicht realisierte Vermögenszuwachs, wie erwähnt, auch einbezogen würde. Nicht klar ist, ob und wie künftige Vermögenseinbussen behandelt würden.
Paradox des amerikanischen Denkens
Erwartet werden Einnahmen von 360 Milliarden über zehn Jahre hinweg. Dabei soll rund die Hälfte davon von Milliardären wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg abgeliefert werden. Musk müsste zusätzlich 50 Milliarden Dollar zahlen, Bezos 35 Milliarden. Dies zeigen Berechnungen der Berkeley-Universität.
Wie anderen Unternehmern gelingt es ihnen immer wieder, ihre Steuern auf ein Minimum oder gar auf null zu reduzieren, solange sie keine Gewinne auf ihren Aktien einstreichen. Dafür belehnen sie ihre Aktienpakete und finanzieren ihr Leben mit den von Banken grosszügig gewährten Krediten, die sie von der Steuer absetzen.
Die Steuerdebatte deckt ein Paradox des amerikanischen Denkens auf. Umfragen bestätigen immer wieder, dass rund zwei Drittel der Amerikaner eine stärkere Belastung der Reichen wünschen. Wenn es aber um die Durchsetzung geht, scheitert die Idee an der Komplexität der Materie, den erwarteten Schlupflöchern für die Reichen und dem Mythos, dass jede und jeder einmal reich werden könnte und dafür nicht «bestraft» werden sollte.
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