Kaufrausch im Nahen OstenSaudiarabien ist die Quittung, die der Fussball für sein Gehabe verdient hat
Immer mehr prominente Spieler erliegen dem Ruf des Geldes aus der Wüste. Die Kritiker stöhnen, der Fussball ächzt – dabei folgen die Scheichs nur ihren Vorbildern aus Europa.
Jetzt ist Georginio Wijnaldum also auch noch gegangen. Der Niederländer, in Liverpool glücklich gewesen, danach in Paris und Rom nicht mehr, spielt neu für al-Ettifaq, einen Verein aus Saudiarabien. Noch einer, der dem Wedeln mit grossen Geldscheinen erliegt.
Wobei: Spielt das für irgendjemanden, abgesehen von Wijnaldum selbst und seinem Anhang, überhaupt noch eine Rolle? Nein, der 32-Jährige ist mit seinem Wechsel bloss ein weiterer Fussballer, der statt vieler Millionen in Europa sehr viele Millionen im Golfstaat verdient.
Für Männer, die Fussball spielen können, sitzt das Geld dort gerade ziemlich locker. In Sachen Ablösesummen werden die Saudis mittlerweile nur noch von den Briten getoppt. Nirgends wurde in den letzten Jahren mehr ausgegeben als in der Premier League, am meisten 2022/23 mit über zwei Milliarden Euro. In den Top 10 der Rangliste der finanziell exzessivsten Saisons war bisher nur die Premier League vertreten.
Jetzt hat sich ein neuer Player in diese Liste geschlichen: die Saudi Pro League, Rang 8. In diesem Sommer haben die Vereine al-Ahli, al-Ittihad, al-Nassr, al-Hilal und al-Ettifaq über 800 Millionen Euro investiert. Die absurd hohen Löhne sind da noch nicht einmal miteingerechnet. Sie sind das grosse Argument im Vergleich zu europäischen Spitzenteams. (Lesen Sie auch die Analyse zum saudischen Kaufrausch: Das ist die nächste Stufe der Absurdität.)
Der Startschuss war vor einem Jahr Cristiano Ronaldo. Nun wechselt beinahe täglich ein Spieler von Format nach Saudiarabien. Natürlich, die meisten sind nicht mehr absolute Weltklasse, aber auch nicht ganz beim alten Eisen. Man denke nur an Neymar, Roberto Firmino oder N’Golo Kanté, alle erst Anfang 30. Mit ihren Löhnen können weltweit wohl nur noch Lionel Messi (Inter Miami) und Kylian Mbappé (Paris St.-Germain) mithalten.
Der Kaufrausch der Saudis ist lange nicht vorbei, und schon sind die Folgen auch hierzulande zu sehen. Kinder tragen das gelb-blaue Al-Nassr-Trikot mit Ronaldo-Aufdruck, die Social Media sind voller Highlights aus der Liga. Da wollte der Bezahlsender Blue nichts verpassen, er zeigt nun drei Spiele pro Runde live. Das ist die neue Realität im Fussball der Männer.
Die letzten Jahre haben aufgezeigt, dass es im Fussball schlicht egal ist, wo Menschenrechte verletzt werden und wo nicht.
«Der Fussball ist endgültig kaputt», rufen nun einige in den Kommentarspalten. Und ja, Saudiarabien ist ein Land, das im Jahr 2022 196 Menschen hinrichtete, ein Land, in dem Homosexualität illegal ist, ein Land, in dem Frauen systematisch unterdrückt und Migranten und Migrantinnen mit dem Kafala-System diskriminiert werden. Kürzlich hiess es in einem Bericht von Human Rights Watch, Saudiarabien erschiesse an der Grenze zu Jemen systematisch äthiopische Flüchtlinge. Dass dieses Land einen derart wichtigen Platz im Weltfussball einnimmt, ist beschämend.
Aber es ist genau die Quittung, die dieser Sport mit seinem Gehabe verdient hat.
Der Fussball der Männer ist eine gewaltige Maschine, die Fans um den ganzen Globus anzieht, das ist für jedes Land attraktiv, das es sich leisten kann, Teil davon zu sein. Die letzten Jahre haben aufgezeigt, dass es schlicht egal ist, wo dabei Menschenrechte verletzt werden und wo nicht.
Länder wie Saudiarabien sind schon lange Teil dieser Maschine – sie sponsern europäische Vereine grosszügig oder besitzen sie gleich ganz. Sie laden sie zur Saisonvorbereitung zu irgendwelchen Turnieren ein, die sie mal eben aus dem Boden gestampft haben. Dann war da auch noch die WM in Katar, grosse Aufschreie davor, aber danach passierte: nichts.
Vereine aus Europa machen bei diesem Sportswashing gern mit, wenn Geld fliesst, stehen sie bereit und nehmen es dankend an, woher auch immer es kommt. Gleiches gilt für die Spieler, die in den letzten Jahren derart hochgejubelt und verwöhnt wurden, dass viele von ihnen den Bezug zur Realität komplett verloren haben. Sie leben in ihrer Blase, und ganz offensichtlich möchten sich viele von ihnen nicht mit Themen wie Menschenrechten auseinandersetzen.
Dass die Saudis nun in einer noch aktiveren Rolle in diesen Markt eingreifen wollen, kann niemanden ernsthaft überraschen. Es ist bloss die logische Folge dessen, wohin sich der Fussball in jüngerer Vergangenheit entwickelt hat. Die grossen Vereine der Premier League, PSG, Barcelona, Real Madrid, Juventus Turin, sie alle und noch mehr gaben schon Unmengen aus für Spieler, viele haben die Milliardengrenze längst geknackt. Sie haben vorgelebt, dass Erfolg kaufbar ist.
So gesehen, folgen die reichen Scheichs aus dem Nahen Osten also nur ihren Vorbildern. Der Kaufrausch wurde ihnen vorgelebt – genau hier, in Europa.
Fehler gefunden?Jetzt melden.