Streit um kaufmännische Schulen«Ungenügendes» Lehrmittel, Profitgier: Jositschs Verband gerät in die Kritik
Tausende KV-Lehrlinge müssen sich mit teurem Unterrichtsmaterial herumschlagen, das selbst bei der Lehrerschaft durchfällt – aber dem kaufmännischen Verband Schweiz Millionen in die Kasse spült.
- Lehrer kritisieren ein neues KV-Lehrmittel als teuer und inhaltlich unzureichend.
- In Winterthur setzen Schulleitungen trotz Lehrerkritik weiterhin auf das teure Lehrmittel.
- Das günstigere Lehrmittel des Hep-Verlags schneidet in Umfragen besser ab.
- Der Kaufmännische Verband Schweiz verteidigt sich und weist die Vorwürfe eines Interessenkonflikts zurück.
Das KV ist die beliebteste Berufsausbildung der Schweiz. Jedes Jahr beginnen 13'000 junge Menschen eine Lehre als Kauffrau oder Kaufmann. Doch zurzeit herrscht Frust in den Klassenzimmern: Tausende Lernende müssen mit einem Lehrmittel arbeiten, dem 253 Berufsschullehrer in einer Umfrage miserable Noten geben. Der Herausgeber ist der SKV-Verlag. Er gehört zu 100 Prozent dem Kaufmännischen Verband Schweiz. Dessen Präsident ist SP-Ständerat Daniel Jositsch.
Die Lehrerschaft gab dem neuen Lehrmittel in der Umfrage in den Kategorien Qualität, Vollständigkeit und Übersichtlichkeit im Schnitt jeweils Noten zwischen 2,5 und 3. Durchgeführt wurde die Erhebung von der Vereinigung der kaufmännischen Berufsschullehrer (VLKB) unter dem damaligen Präsidenten Sascha Gloor. Er sagt: «Das Lehrmittel weist sehr grosse Mängel auf. Wir Lehrer müssen mit sehr grossem Aufwand zusätzliches Unterrichtsmaterial erstellen, weil das Lehrmittel nicht den Anforderungen entspricht.»
Kritik: Lernende leiden wegen Profitgier des Verbands
Lehrer mehrerer Berufsschulen werfen dem Kaufmännischen Verband vor, aus Eigennutz am schlechten Lehrmittel festzuhalten. Es gäbe deutlich bessere und günstigere Alternativen, so die Kritik. Doch weil der Verband mit dem Verkauf seines Lehrmittels Millionen verdiene, übe er Druck auf Berufsschulen aus, damit diese nicht auf Alternativen umsteigen. Die Leidtragenden seien die Lernenden, die für ein schlechtes Lehrmittel tief in die Tasche greifen müssten.
Für Lehrmittel des verbandseigenen Verlags muss ein Lernender für alle drei Lehrjahre zusammen stolze 1050 Franken zahlen, während das alternative Lehrmittel des Hep-Verlags nur 650 Franken kostet – und in der Umfrage besser abschneidet. Auch der Westermann-Verlag bietet ein günstigeres Lehrmittel für KV-Lernende an und betont, dass sein Lehrmittel dasselbe Fächerspektrum abdeckt.
Der Kaufmännische Verband Schweiz weist die Vorwürfe zurück. Er führt das schlechte Abschneiden bei der Umfrage darauf zurück, dass diese nur zwei Monate nach dem Start einer Reform der KV-Ausbildung durchgeführt wurde, und die Lehrmittel neu geschrieben werden mussten. Startschwierigkeiten seien normal.
Doch die kritischen Lehrpersonen weisen auf einen Interessenkonflikt innerhalb des Verbands hin: Der Kaufmännische Verband Schweiz betreibt nämlich nicht nur den Verlag, sondern stellvertretend für den Staat auch zahlreiche Berufsschulen im Auftrag des Staates – etwa in Bern, Zürich und Winterthur.
Schweizweit werden über die Hälfte aller KV-Lernenden in Schulen unterrichtet, die von Sektionen des Verbands betrieben werden. Der Verband sei somit de facto gleichzeitig Anbieter und Besteller, kritisieren Lehrer. Er habe keinen Anreiz, dass das beste und günstigste Lehrmittel zum Einsatz komme – sondern jenes, das ihm Geld in die Kasse spült. Mit dem Verkauf der Lehrmittel nimmt der Verband jährlich rund 6,5 Millionen Franken ein.
Offiziell findet zwar in diesen Berufsschulen jeweils eine Evaluation des besten Lehrmittels statt. Für viele Lehrer ist jedoch klar, dass die von den kantonalen Sektionen des Verbands eingesetzten Rektorinnen und Rektoren die Evaluation so ansetzen, dass nur das verbandseigene Lehrmittel gewinnen kann.
Schulleitung hält gegen Willen der Lehrer am Lehrmittel fest
Die Einflussnahme des Verbands auf die Schulleitungen lässt sich allgemein zwar schwer beweisen. Fest steht aber, dass zumindest die Leitung in Winterthur das umstrittene verbandseigene Lehrmittel gegen den ausdrücklichen Willen der Lehrerschaft eingeführt hat.
Das Lehrerkollegium führte in Abwesenheit der Schulleitung eine Umfrage durch. Das Resultat: 22 von 26 betroffenen Lehrpersonen in Winterthur wollen das Lehrmittel nicht mehr nutzen. Das Kollegium forderte geschlossen, dass die Schule sich für ein anderes Angebot entscheidet. Trotzdem entschied die Schulleitung, das 2023 neu eingeführte Lehrmittel des Verbands auch 2024 beizubehalten.
Susanne Cavadini, Rektorin der KV-Berufsschule Winterthur, bestätigt, dass die Schulleitung den Wunsch des Lehrerkollegiums nach einem Wechsel des Lehrmittels «abschlägig beantwortet» habe. Ihre Begründung: Zu diesem Zeitpunkt habe erst ein Teil der Lehrpersonen vier Monate mit dem neuen Lehrmittel gearbeitet. Weder die interne Erfahrung noch die Alternativen seien ausreichend gewesen, um eine fundierte Neuauswahl durchzuführen. Man habe der Lehrerschaft aber versprochen, 2025 den Entscheid zu überprüfen.
Verband: «Nehmen nicht Einfluss auf Auswahl der Lehrmittel»
Beim Westermann-Verlag zeigt man sich erstaunt darüber, dass das Lehrmittel des Kaufmännischen Verbands trotz schlechter Umfragewerte und hohem Preis so weitverbreitet ist. Laut Westermann-Schweiz-Verlagsleiter Thomas Hotz hat verbandseigene Verlag «jetzt das Monopol». Es sei «auffällig, dass die meisten vom Verband betriebenen kaufmännischen Schulen das Lehrmittel des verbandseigenen Verlags übernommen haben».
Verbandspräsident Jositsch will sich zur Kritik nicht äussern. Er verweist auf die Stellungnahme der Kommunikationsabteilung des Verbands. Dort sieht man keinen Interessenkonflikt. Laut Sprecherin Emily Unser ist der Dachverband unabhängig von den 24 Sektionen. Alle seien finanziell eigenständig. Der Dachverband habe zwar ein Interesse am Erfolg des eigenen Verlags, doch die einzelnen Sektionen profitierten nicht davon, erklärt Unser. In Bezug auf die Evaluation der Lehrmittel an den Schulen sagt Unser: «Weder der Kaufmännische Verband Schweiz noch die Sektionen haben Einfluss auf die Auswahl der Lehrmittel an den Schulen.»
Plötzlich verschwindet die Umfrage
Nun nimmt die Geschichte eine weitere Wendung. Die bis vor kurzem auf der Website der Lehrervereinigung VLKB publizierte Lehrmittel-Umfrage ist auf einmal nicht mehr abrufbar. Chantal Donzé, neue Präsidentin des Vereins, liess sie verschwinden. Ihre Begründung: Der SKV-Verlag habe ein Sponsoring eines Vereins gekündigt, bei dem sie ebenfalls Präsidentin sei.
Der SKV-Verlag wehrt sich. Die Kündigung des Sponsorings sei nicht erfolgt, um Druck auszuüben, damit die unliebsame Umfrage verschwindet. Man habe das Sponsoring bloss beendet, «da es keine inhaltlichen Berührungspunkte mehr zwischen den Organisationen gegeben hat».
Auf einmal streiten sich Lehrervereinspräsidentin Donzé und ihr Vorgänger Gloor, der die Erhebung gemacht hat. Donzé kritisiert, die Umfrage mit den 253 KV-Lehrern sei «nicht genug repräsentativ». Man könne deshalb nicht daraus ableiten, dass das SKV-Lehrmittel schlecht sei. Und sie wirft Gloor vor, nicht unabhängig zu sein, weil er selber einen Lehrmittel-Verlag besitze. Gloor, ebenfalls Berufschullehrer, hat diesen allerdings schon vor sechs Jahren verkauft.
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