Katja Frühs schwerste EntscheidungWenn das Allereinfachste nicht mehr zu bewältigen ist
Unsere Autorin erinnert sich an den pechschwarzen Tag, als sie sich nicht zwischen einem Broccoli und einem Blumenkohl entscheiden konnte.
Einmal, ich befand mich gerade auf der pechschwarzen Talfahrt in die Depression, konnte ich mich in der Migros nicht zwischen einem Blumenkohl und einem Broccoli entscheiden. Es ging einfach nicht, es war die schwerste Entscheidung meines Lebens. Die Tränen rannen mir übers Gesicht. Ich versuchte mich zusammenzureissen und klar zu denken. Was kann ein Blumenkohl, was ein Broccoli nicht kann?
Ich zählte alle Rezepte auf, die mir einfielen. Das half mir aber nicht wirklich bei meiner Entscheidung, weil jedes Argument für das eine Gemüse eine Reihe weiterer Argumente für das andere Gemüse nach sich zog. Mein Mann, der lange geduldig neben mir stand und sich Mühe gab, meine Überlegungen ernst zu nehmen, nahm mir schliesslich den Blumenkohl aus der Hand, schob mich zur Kasse, zahlte und zog mich liebevoll, aber energisch zur Türe hinaus.
In den letzten Monaten mussten wir ein paar schwere Entscheidungen treffen. Die erste betraf unsere Wohnung. Sie ist gross, sie ist schön, sie ist, für unsere Verhältnisse, teuer. Für Zürcher Verhältnisse natürlich nicht. In unserem Quartier wird gerade alles luxussaniert, und unsere Vermieter machten schon Andeutungen diesbezüglich. Also suchten wir.
Was wir fanden, war eine Zweizimmerwohnung, in der wir unglaublich hätten zusammenrücken müssen. Wir hätten fast alle Möbel und Bücher nicht mitnehmen und keine Enkel mehr bei uns übernachten lassen können. Grössere Essensrunden wären nie mehr möglich gewesen. Aber wir hatten den Zuschlag und mussten uns entscheiden.
Noch schwerer fiel uns die Entscheidung, unser Haus in Italien zu verkaufen. Aber wenn wir in der grossen Wohnung bleiben wollen, müssen wir irgendwoher Geld auftreiben. Es war hart, denn wir lieben dieses Haus, insbesondere meine Tochter und ihre Kinder, bei denen dann auch dementsprechend viele Tränen flossen.
All das ist aber nichts im Vergleich zu der Entscheidung zwischen dem Broccoli und dem Blumenkohl. Weil sich in ihr die volle Härte einer Depression zeigt. Wenn das Allereinfachste, das Alleralltäglichste nicht mehr zu bewältigen ist. Wenn man es nicht mehr schafft, aus dem Bett zum Kühlschrank zu gehen, um ein Joghurt zu holen, erstens weil man keine Energie hat, zweitens weil es einem sinnlos erscheint, drittens weil man sich nicht für eine Geschmacksrichtung entscheiden kann.
Bis du kapitulierst und doch eine Entscheidung triffst: Du holst dir Hilfe. Und irgendwann kochst du eine Blumenkohlsuppe und am andern Tag einen Broccoliauflauf. Als ob nie etwas gewesen wäre.
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