Kolumne Katja FrühAlle meine Ängste auf Vorrat
Unsere Autorin malt sich die schrecklichsten Dinge aus.
«Gegen vorauseilende Trauer hilft nur eiserne Disziplin.» Diesen Satz habe ich in einem der unendlich vielen Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, aufgeschnappt. Und irgendwie ist er hängen geblieben. Ich bin nämlich Meisterin der vorauseilenden Trauer. Und Disziplin habe ich sowieso keine. Oder zumindest keine eiserne. Dafür habe ich Fantasie. Fantasie im Ausmalen schrecklicher Dinge.
Detailgetreu kann ich beschreiben, was passieren wird, wo, wann und wie die Dinge sich ereignen werden, vor denen ich solche Angst habe. Vielleicht leide ich unter einer generalisierten Angststörung, so nennt man das, glaube ich, in der Fachsprache. Aber vielleicht ist das auch einfach nur das Leben. Dass man sich bewusst ist, was alles passieren kann, dass alles an einem seidenen Faden hängt. «Mach dir schon mal Sorgen, Erklärung folgt», schrieben meine erwachsenen Kinder beim Reisen auf ihre Postkarten.
Ich glaube, diesen Satz habe ich schon mal in einer Kolumne erwähnt, aber er gefällt mir so gut, also sorry, wenn ich mich wiederhole. Meine Ängste wiederholen sich auch. Brutale Angst hatte ich als Kind um meinen Vater, seine Existenz war brüchig, das habe ich schon früh bemerkt. Wie meine Mutter zitternd aus dem Fenster schaute, ob er nach Hause kommt. Später hatte ich Angst um meine Schwester, wenn es ihr schlecht ging, in ihren schweren Theaterjahren. Dann hatte ich Angst um meine Kinder, als mein Sohn von Nazis zusammengeschlagen wurde und im Spital landete. Als nur ein Beispiel. Jetzt habe ich Angst um meine Enkel, wegen nichts, auf Vorrat sozusagen. Hört das denn niemals auf?
Man sagt, dass Angst in jüdischen Familien besonders verbreitet ist, da sie sich weitervererbt, von Generation zu Generation. Möglich ist das schon, andererseits glaube ich, dass alle Eltern Angst haben, dass die Angst dir einfach gratis dazugeschenkt wird, wenn du Kinder bekommst. Überhaupt, wenn du jemanden liebst. Vielleicht gibt es auch Menschen ohne Angst. Stumpfe, dumme, die sich für unsterblich halten. Oder, um es mit Horváth auszudrücken: «Nichts gibt einem so sehr das Gefühl der Unendlichkeit, als wie die Dummheit.»
Nur um mich selbst habe ich überhaupt keine Angst. Vielleicht vor Depressionen, das schon. Ansonsten sollte ich mit meiner vorauseilenden Trauer und meiner Fantasie vielleicht etwas Klügeres anstellen, als ich das jetzt tue. Und den Ängsten «Stopp!» sagen, ihnen den Stecker ziehen, mit eiserner Disziplin. Ich übe noch. Allerdings schon mein Leben lang.
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