Katja Früh raucht im SpitalMit den Rauchern kann ich sprechen
Auf dem Spitalbalkon treffen sich auch in der Nacht die Süchtigen. Unsere Autorin setzt sich dazu.
Kürzlich war ich mal wieder im Spital. Es war eine schwere Operation mit heftigen Schmerzen, aber den Nächten konnte ich seltsamerweise durchaus etwas abgewinnen. Wenn die Schwester ins Zimmer kommt, nach dir schaut, dir noch etwas gegen die Schmerzen gibt und trotz der vielen Patienten, die sie in der Nacht mit nur einer weiteren Pflegerin betreuen muss, einen Witz macht oder liebe Worte findet, dann rührt mich das, und ich fühle mich beschützt. Wenn ich draussen auf dem Spitalgang bin mit einem Riesenrollator, sehe ich die roten Lichter über den Türen, Patienten, die nach Personal rufen, Menschen, denen es vielleicht viel schlechter geht als mir, sie hassen die Nacht und sind einsam. Mit ihnen kann ich nicht sprechen, aber mit den Rauchern schon.
Die Raucher, sagt mein Arzt, sind immer am schnellsten gesund, weil sie am meisten laufen. Ich also den langen Gang entlang bis zu dem Balkon, wo es Aschenbecher hat, Tischchen und Stühle. Dort treffen sie sich, die Süchtigen. Auch in der Nacht, auch morgens um vier. Oft sind es Pfleger und Schwestern aus dem ganzen Haus, ich traf immer dieselben, sie rauchen gehetzt, machen ein paar lustige, freche Sprüche und rauschen dann wieder davon. Die anderen, die Patienten, dehnen ihre Rauchpause aus, sie wollen reden, wollen erzählen, warum sie hier sind natürlich, wie lange sie bleiben müssen, aber in der Nacht reden sie über noch andere Dinge, manche erzählten mir ihr halbes Leben.
Die junge Frau im Rollstuhl will von mir wissen, wie sie von ihrem On-und-off-Freund loskommen soll, er sei drogensüchtig, und immer wenn er ganz am Boden sei, wolle er sie wieder, und sie gehe jedes Mal wieder zu ihm, und nach ein paar Tagen stosse er sie wieder weg. Dabei wolle sie ihm doch helfen. Oder die alte Lady, eine wirkliche Dame, die nach einem Autounfall schon ewig auf der Privatstation liegt, Kettenraucherin und immer auf dem Balkon, morgen kann sie nach Hause, sie spricht nicht viel, nur dass sie zu Hause ihr Hund erwartet, sie wiederholt andauernd: Zu Hause ist mein Hund, zu Hause ist mein Hund, zu Hause ist mein Hund, meine Nachbarin bringt ihn, wenn ich ankomme, dann ist er da. Zu Hause ist mein Hund.
Ein älterer Mann sagt, sein Sohn komme ihn nicht besuchen, weil er ihm gesagt habe, dass niemals etwas aus ihm werde. Und jetzt könne er das nicht mehr zurücknehmen, obwohl er sich überlegt habe, dass ja doch etwas aus seinem Sohn geworden sei, nämlich ein netter Mensch. Und so schauen wir in die sternklare Nacht, jeder für sich, aber irgendwie gehören wir auch zusammen, weil wir ja Raucher sind.
Katja Früh ist Drehbuchautorin und Regisseurin.
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