Rätsel um vermisstes Kind in ItalienKata – das fünfjährige Mädchen, das plötzlich verschwunden ist
In Florenz suchen Polizei, Angehörige und Helfer seit Tagen verzweifelt nach einem peruanischen Kind. Je mehr Details bekannt werden, desto haarsträubender erscheint der Fall.
Als Katherine Alvarez am Samstag, den 10. Juni, um 15.30 Uhr von der Arbeit nach Hause zurückkehrt, ist ihre Tochter verschwunden.
Die fünfjährige Kataleya Mia Alvarez, genannt Kata, hat im Hof eines ehemaligen Hotels, das Obdachlose im Stadtteil Novoli in Florenz besetzt halten, mit einer Freundin gespielt. Irgendwann beginnen die beiden Mädchen zu streiten. Ihre Freundin läuft wütend nach Hause, Kata bleibt allein – und verschwindet. Das erzählen Zeugen und die Mutter der Spielgefährtin. Wohin das Kind gegangen ist, ob allein oder in Begleitung, wissen sie nicht.
Katherine Alvarez ist 26 Jahre alt und kommt aus Peru. Sie lebt mit ihrer Familie – ihrer Tochter Kata und ihrem achtjährigen Sohn, ihrem Ehemann sowie mit Katas Onkel – im ehemaligen Hotel Astor. Vor drei Jahren musste es schliessen, später besetzten es Personen, die zu arm sind, um eine Miete zu bezahlen: Migranten aus Peru und Ecuador, Einwanderinnen aus Rumänien und Ungarn, auch einige italienische Familien. Etwa 70 Erwachsene und 40 Kinder, verteilt auf die Zimmer des ehemaligen Hotels.
Leben in einer «Favela in Florenz»
Eine «Favela im Norden von Florenz», schreibt die Zeitung «La Repubblica» und schildert das Elend, in dem Kata und ihre Familie leben: Zerbrochene Scheiben, modernde Matratzen und Decken, Mückenschwärme, die Toiletten sind stinkende, verdreckte Löcher, in den Gängen stehen Gaskocher. Als Journalistinnen und TV-Reporter nach Katas Verschwinden die ersten Videos drehen, zeigen sie neben der ganzen Armut auch das Plüschtier auf dem Bett der Fünfjährigen und ihren Schulthek. Laut den Florentiner Behörden gehen alle Kinder aus dem besetzten Gebäude zur Schule.
Es spielen sich erschütternde Szenen ab in Florenz.
Katas Mutter Katherine Alvarez arbeitet als Verkäuferin im Conad, dem italienischen Gegenstück zu Coop oder Migros. Als sie an diesem Samstag zur Arbeit ging, ist die Kleine bei ihrem Onkel geblieben. Dass sie mit anderen Kindern im Hof spielt, ist alltäglich. Katas Vater sitzt zu diesem Zeitpunkt wegen Diebstahls und Kreditkartenbetrugs im Gefängnis.
Nach Katas Verschwinden spielen sich erschütternde Szenen ab in Florenz, verfolgt von einer schockierten Öffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit allerdings bald vom Tod Silvio Berlusconis abgelenkt wird. Polizisten, Zivilschützer und Freiwillige durchkämmen die Strassen, die Feuerwehr sucht Kanalisation, Abflussrohre und eine Zisterne ab. Die peruanische Gemeinschaft mobilisiert sich, Taxifahrer versprechen, nach Kata Ausschau zu halten, in sozialen Medien teilen Helferinnen und Helfer ihr Foto.
Katas Mutter bittet die Öffentlichkeit in nahezu fehlerfreiem Italienisch, bei der Suche zu helfen. Ein Polizeikommandant sagt, man könne nichts ausschliessen. «Da sie am Spielen war, hat sie sich vielleicht entfernt, um einem anderen Kind zu folgen.» Das sagt er am Samstag, als solche Zuversicht noch nicht naiv wirkt.
«Ich befürchte, dass jemand mein Kind entführt hat.»
Am frühen Sonntagmorgen, nachdem sie die Nacht suchend verbracht hat, sitzt Katherine Alvarez schluchzend auf der Strasse. Gegenüber der Presse sagt sie: «Ich befürchte, dass jemand mein Kind entführt hat.» Florenz’ Bürgermeister Dario Nardella trifft sich im besetzten Gebäude mit der Familie des Mädchens, eine Angestellte der Stadtverwaltung versucht zu erklären, weshalb das Haus noch nicht geräumt ist.
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Während der nächsten Tage behauptet jemand, Kata in einem Bus nach Bologna gesehen zu haben, in Begleitung einer Frau. Die Spur erweist sich als zweifelhaft. Laut italienischen Medien sagt ein Augenzeuge aus, das Mädchen sei von einem Erwachsenen in den Hof eines Nebengebäudes geführt worden. Angeblich haben dies auch einige Kinder bestätigt, und Spürhunde hätten an der Grenze zwischen den beiden Grundstücken besonders heftig angeschlagen. Eine Videokamera hat Kata kurz vor ihrem Verschwinden gefilmt. Sie geht ein paar Schritte auf der Strasse vor dem besetzten Gebäude und biegt dann ab in dessen Hof.
Ein Racheakt oder eine Erpressung?
In den Medien heisst es, einige Besetzer des ehemaligen Astor hätten die Macht, anderen Zimmer zuzuweisen und dafür Geld zu verlangen. Oder ihnen den Aufenthalt zu verweigern und sie auf die Strasse zu setzen. Katas Vater und ihr Onkel gehören angeblich zu diesen Armen, die noch Ärmere ausbeuten. Im März kommt es im ehemaligen Astor zu einer Massenschlägerei, bei der zwei Peruaner so schwer verletzt werden, dass sie ins Spital müssen. Und kürzlich, so erzählen Besetzerinnen und Besetzer, habe sich Katas Familie in ihrem Zimmer verbarrikadieren müssen, um sich vor Angriffen wütender, mit Messer bewaffneter Mitbewohner zu schützen. Dabei sei ein junger Ecuadorianer aus dem Fenster gestürzt.
Ein Racheakt oder eine Erpressung – das gilt mittlerweile als mögliches Motiv für das Verschwinden des Mädchens. Eine Person oder eine Gruppe von Personen, die ihre Wut auf Katas Eltern oder ihren Onkel an dem Kind auslassen. «Wir aus Rumänien haben nichts damit zu tun – die Peruaner wissen genau, wo sie ist», behauptet eine rumänische Bewohnerin des besetzten Hotels.
Jetzt ermittelt auch eine forensische Spezialeinheit.
Am Dienstag trinkt Katas Mutter in ihrer Verzweiflung Bleichmittel. Wie ernst der Selbstmordversuch ist, bleibt offen, aber sie verbringt einen Tag im Spital. Katas Vater wird unter Auflagen aus dem Gefängnis entlassen, um die Familie zu unterstützen. Gemeinsam tritt das peruanische Elternpaar in der landesweit bekannten Fernsehsendung «Chi l’ha visto?» (Wer hat ihn gesehen?) auf, in der verschollene Personen gesucht werden. Katas Vater sagt: «Ja, es gab einige Probleme im besetzten Gebäude, aber ich kann nicht glauben, dass jemand ein Kind da mit reinzieht.»
Mittlerweile ermitteln auch Agenten einer forensischen und kriminaltechnischen Spezialeinheit der italienischen Polizei. Aber Kata bleibt verschwunden.
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