Kampf gegen WaffenbesitzKanada zeigt den USA, wie es geht
Nach den Massakern in den USA verschärft die kanadische Regierung das Waffenrecht. Das Problem illegaler Pistolen aus den USA kriegt sie damit aber nicht in den Griff.
Selbst im tollsten Land der Welt kommen den Menschen bisweilen Zweifel. Dann tippen sie «nach Kanada ziehen» in ihr Google-Suchfenster.
Die Zweifel verbreiten sich immer dann besonders stark, wenn es in den USA drunter und drüber geht. Das scheint für viele Amerikanerinnen und Amerikaner derzeit der Fall zu sein: In den Tagen nach dem Massaker in der Primarschule von Uvalde in Texas sind die Suchanfragen zum Umzug in den Norden sprunghaft gestiegen.
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Absolute Werte weist Google nicht aus, doch hat sich die Zahl der Suchen innert Tagen vervierfacht; so hoch wie jetzt waren sie letztmals kurz nach dem 6. Januar 2021, als die Bilder des gehörnten Trump-Schamanen um die Welt gingen, nachdem Trump-Anhänger das Capitol in Washington gestürmt hatten. «Suchen Sie den amerikanischen Traum? Gehen Sie nach Kanada», schrieb unlängst der amerikanisch-indische Autor Parag Khanna. Er richtete seine Empfehlung nicht nur an Einwanderer, und er meinte nicht nur die tieferen Lebenskosten im Norden Amerikas.
Die Kanadier kokettieren mit der Rolle der vernünftigen Nachbarn im Norden, denen die US-amerikanische Überdrehtheit abgeht (lesen Sie hier, warum das sogar während der Trucker-Proteste galt). Als Premierminister Justin Trudeau am Montag eine deutliche Verschärfung der Waffengesetze vorschlug, musste er die Vereinigten Staaten nicht einmal beim Namen nennen, damit klar war, wovor er warnte. «Wir können die Waffendebatte nicht so polarisiert werden lassen, dass wir gar nichts mehr tun können», sagte Trudeau. «Das können wir in unserem Land nicht zulassen.»
Keine Waffen für Gewalttäter
Nun will der liberale Premier ein altes Wahlkampfversprechen einlösen, indem er ein faktisches Verbot von Faustfeuerwaffen vorschlägt. Bereits ab Herbst 2022 soll es in Kanada illegal sein, solche Schusswaffen zu importieren, zu verkaufen oder das Eigentum daran zu übertragen. Gewalttäter sollen in Zukunft automatisch ihre Waffenlizenz verlieren, zum Beispiel bei häuslicher Gewalt und Stalking.
Neu könnten kanadische Gerichte auch Waffen einziehen lassen von Personen, die eine Gefahr für andere oder sich selbst darstellen. Schliesslich sollen Gewehre nur noch maximal fünf Schuss halten dürfen, grössere Magazine sollen verboten werden. Die entsprechenden Gesetzesvorschläge will die Regierung demnächst im Parlament einbringen.
Schon vor zwei Jahren hat die Regierung Trudeau 1500 Arten von Gewehren und Pistolen verboten, darunter Sturmgewehre des Typs AR-15. Nun schlägt die Regierung ein obligatorisches Rückkaufprogramm dafür vor: Die Eigentümer müssen die Waffen abgeben, werden aber dafür entschädigt. Die AR-15 waren in den USA soeben wieder in den Schlagzeilen, weil sowohl der Amokläufer von Uvalde als auch jener in einem Supermarkt in Buffalo zehn Tage davor kurz nach dem 18. Geburtstag solche Gewehre gekauft hatten. Auch der Schütze in der Sandy-Hook-Schule hatte vor zehn Jahren bereits eine AR-15 benutzt; er hatte in weniger als 5 Minuten 154 Schüsse abgefeuert (lesen Sie, warum Joe Biden damals eine Chance verpasste).
Waffen sind in Kanada verbreitet
In Kanada sind Massaker mit Schusswaffen weniger häufig als in den USA, doch frei von diesem Problem ist das Land bei weitem nicht. Das Verbot von Sturmgewehren etwa war eine Reaktion auf eine Schiesserei in Nova Scotia im Jahr 2020, die 22 Personen das Leben kostete. In den USA gibt es pro Kopf viermal mehr Waffen, doch Kanada weist gemäss dem Small Arms Survey die zweithöchste Waffendichte unter den Industrieländern auf. Gewalttaten mit Pistolen und Gewehren wurden in den vergangenen zehn Jahren häufiger, nachdem ihre Zahl vorher lange rückläufig war: Seit 2013 ist die Zahl jedoch um 50 Prozent gestiegen.
Während viele Kommentatoren die jüngsten Pläne der Regierung in Ottawa begrüssten, wiesen sie auch darauf hin, dass diese nicht genügten. Ein Grossteil der Verbrechen in Kanada wird nicht mit legalen Waffen begangen, sondern mit illegal aus den Vereinigten Staaten importierten Faustfeuerwaffen. Vor einigen Tagen machte eine Anekdote die Runde, in der ein Hundehalter im kanadischen Grenzgebiet am St. Clair River nachts sein Tier Gassi führen musste und dabei einen Eindringling auf seinem Grundstück verscheuchte. Die herbeigerufene Polizei fand eine Drohne mit elf aus den USA geschmuggelten Pistolen.
In den Vereinigten Staaten wären solch strenge Waffengesetze wie in Kanada wohl nicht mehrheitsfähig. Doch eine überwiegende Mehrheit von rund zwei Dritteln der Amerikaner unterstützt Einschränkungen des freien Waffenbesitzes. Im Kongress schlägt sich dies jedoch kaum nieder. Am Dienstag wollte ein Grüppchen von Senatoren der Republikaner und der Demokraten mögliche Kompromisse suchen. Zur Debatte steht etwa eine Wartefrist beim Kauf von Waffen, während deren die Behörden den Hintergrund der Käuferschaft überprüfen können. Auch Präsident Joe Biden versprach am Sonntag Angehörigen in Uvalde, dass er etwas unternehmen werde, um der Schusswaffengewalt Einhalt zu gebieten.
Doch wie schon nach früheren Amokläufen zeichnet sich auch diesmal ab, dass die Republikaner im Senat alle Waffenrechtsreformen blockieren werden. Vor den Zwischenwahlen dürfte diese Taktik für die Republikaner am meisten Erfolg versprechen, die USA haben sich an Massaker gewöhnt und behandeln sie zunehmend routiniert und abgebrüht. Zwei Tage nach der Schiesserei in Uvalde beschäftigte das Thema die Amerikaner gemäss einer Auswertung von Interaktionen auf sozialen Medien stark. Doch schon eine Woche später ist das Interesse wieder komplett eingebrochen.
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