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Der Kälte-Kick
Schneewandern im Bikini

Helena Hefti, Jala Coaching, beim Wandern mit Gruppe, Schweibenalp, Brienz, BE
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Ihr Kälterekord im Bikinioberteil und mit kurzen Hosen liegt bei 20 Grad unter null. Das war auf einer Winterwanderung  auf einem Berg namens Schneekoppe in Polen. Dort wachsen die Eiszapfen waagrecht statt senkrecht. Weil es so stark windet. Der ultimative Kältetest.

Wir treffen die 50-jährige Bauerntochter aus Glarus in Bern, wo sie heute wohnt. Sie trägt Turnschuhe, keine Socken. «Ist Ihnen nicht kalt, Frau Hefti?» Sie spüre die Temperatur, sagt sie. «Aber ich friere nicht.» 

Da braucht es schon mehr. Ein winterliches Bad in der derzeit etwa sechs Grad kalten Aare, zum Beispiel. Dazu Wind. Wenn sie aus dem Wasser steige, sagt Hefti, sei es auch für sie «einen Moment lang etwas unangenehm».

Hefti studierte Geografie, war Qualitätsmanagerin beim Bund. Jetzt arbeitet sie als Kälte- und Atemcoach. In Crashkursen bringt sie anderen bei, besser mit dem Angstgegner Kälte klarzukommen. 

Adrenalinschock neben der Eisscholle

14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich am Samstag auf der Schweibenalp oberhalb von Brienz eingefunden. Sieben Frauen, sieben Männer. Das Programm: um sechs Uhr raus aus dem wohlig warmen Bett, um halb sieben Atemübungen, dann in Badehosen vom Hotel zum Giessbach, dort zwei bis drei Minuten eintauchen. Gefühlt ist das eine kleine Ewigkeit – Wassertemperatur: um die null Grad. Ein Adrenalinschock neben der Eisscholle. Viele bekommen schon vom Zuschauen das Schlottern. 

Am Nachmittag wandert die Gruppe halb nackt bei Minustemperaturen durch die verschneite Landschaft. Nur mit kurzen Hosen bekleidet. Die Frauen im Bikinitop, die Männer mit bluttem Oberkörper. Ein bis zwei Stunden dauert der frostige Marsch. 

Ist das irre – oder gesund?

Helena Hefti, Jala Coaching, beim Wandern mit Gruppe, Schweibenalp, Brienz, BE

Fans wie Hefti schwören auf die positive Wirkung: Der Kälte-Kick soll Entzündungen hemmen, das Immunsystem stärken, bei der Stressbewältigung helfen – und die frostigen Temperaturen sollen entspannend sein. Vorausgesetzt, man atmet richtig. Nämlich: ruhig durch die Nase in den Bauch. Bloss nicht hyperventilieren! 

Wissenschaftlich ist ein Wohlfühleffekt belegt. Bei tiefen Temperaturen, zum Beispiel in kalten Bädern, werden im Gehirn Botenstoffe wie Noradrenalin, Dopamin, Endorphine und Serotonin ausgeschüttet. Das macht glücklich. High durch Kälte – für mehrere Stunden. 

Trotzdem können sich viele  kaum etwas Unangenehmeres vorstellen als Kälte. Winter? Dann lieber einen Flug auf die Seychellen buchen, zum Überwintern. Oder zu Hause bei aufgedrehter Heizung kuscheln.

Kälte, weiss Hefti, macht vielen von uns Angst. «Wir sind so erzogen, dass wir glauben, sie sei eine Gefahr», sagt sie. «Wir ziehen die Jacke ja schon drinnen an. Unser Wärmesystem wird also gar nicht richtig hochgefahren  – wir machen nie die Erfahrung, dass unser Körper Kälte aushält. Darum fürchten wir sie.»

Rund 1000 Leute im Umgang mit Kälte geschult

Die Kurse führt sie seit 2017 durch, seit einem Jahr macht sie das hauptberuflich. Pro Winter sind es zwei bis drei Intensiv-Wochenenden mit einer Winterwanderung wie jetzt auf der Schweibenalp. Daneben gibt sie Tagesworkshops, schult auch ganze Teams aus Firmen, unter anderem mit Bibbern im Eisbad.

Rund 1000 Leute stehen mittlerweile in ihrer Adresskartei. Die Kursteilnehmer sind zwischen 18 und 75 Jahre alt. Es sind Informatiker, Pflegepersonen, Büroangestellte, Handwerker und Pensionierte. Sie kommen, weil sie gehört haben, dass das Kältetraining gut sein soll für die Gesundheit. Und gelassener mache. 

Hefti wendet eine Atemmethode an, die nach «The Iceman» Wim Hof benannt ist. Der Niederländer hat mehr als 20 Kälte-Weltrekorde aufgestellt. Unter anderem harrte er fast zwei Stunden in Eiswasser aus. Wann er das letzte Mal gefroren hat, weiss er nicht mehr. 

Einige von Heftis Schülern pflegen ihr frostiges Hobby nach dem Kurs weiter, ziehen freizügig gekleidet durch die Schneelandschaft. Andere gehen morgens im Trägershirt mit ihrem Hund spazieren. In dieser Montur, berichten sie, werde man «zum Teil seltsam angeschaut». 

Helena Hefti, Jala Coaching, beim Wandern mit Gruppe, Schweibenalp, Brienz, BE

Warum eigentlich nicht  blankziehen und nackt wandern, wenn schon? 

«Es ist nicht nötig, dass wir uns ganz ausziehen», sagt Hefti. «Wir haben auch so genügend Temperatursensoren am Körper. Ausserdem geht es nicht um Exhibitionismus.» Es geht um eine Extremerfahrung. 

Wobei das Wort «extrem» nicht gern gehört wird. Weil das «so negativ» klinge. «Eigentlich ist das alles gar nicht extrem.» 

Sagt Hefti.

Helena Hefti, Jala Coaching, beim Wandern mit Gruppe, Schweibenalp, Brienz, BE