Stromversorgung in der SchweizJust das beste Wasserkraftprojekt fehlt
15 Ausbauvorhaben sollen wertvollen Winterstrom liefern. Unveröffentlichte Daten zeigen, dass das Projekt mit der besten Gesamtbilanz nicht auf der Liste steht.
Der Bundesrat will die Wasserkraft ausbauen und so die Stromversorgung im Winter stärken. Bis 2040 sollen neue Stauseen und Erweiterungen bestehender Wasserkraftwerke die steuerbare Winterstromproduktion um 2 Terawattstunden (TWh) erhöhen. Unter der Leitung von Energieministerin Simonetta Sommaruga hat sich Ende 2021 ein runder Tisch mit den Kantonen, der Wasserwirtschaft und Umweltverbänden auf 15 Projekte verständigt. In einer gemeinsamen Erklärung hielt er fest, es handle sich um jene Vorhaben, die «energetisch am meistversprechenden sind und gleichzeitig mit möglichst geringen Auswirkungen auf Biodiversität und Landschaft umgesetzt werden können».
Nun aber zeigen Daten, deren Herausgabe diese Redaktion gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erwirkt hat: Von den 32 Projekten, die der runde Tisch geprüft hat, hat das Projekt Staumauererhöhung beim Lac des Dix (VS) gemessen am Landschaftseingriff pro Terawattstunde am besten abgeschnitten. Auf der 15er-Liste des runden Tisches figuriert es aber nicht.
Umweltschützer monieren, der runde Tisch habe es absichtlich von der Liste gekippt, weil es sich sowieso ohne grosse Widerstände realisieren lasse. Dafür habe er ein anderes Projekt durchdrücken wollen: den geplanten Stausee Gorner ob Zermatt – ein Projekt, das stark umstritten ist. Zum Verständnis: Ein Platz auf der 15er-Liste ist nicht nur wichtig, weil der runde Tisch diesen Vorhaben politisch Aufwind verleiht. Es gibt zusätzlich im Parlament Bestrebungen, diese Projekte in einem Gesetz zu verankern und ihnen ein öffentliches Interesse zuzuschreiben, das über anderen Interessen stünde, etwa des Umwelt- und Landschaftsschutzes, ihre Realisierung würde dadurch einfacher.
Das Bundesamt für Energie (BFE) widerspricht den Kritikern: Lac de Dix und Gorner befänden sich im selben Kraftwerkskomplex von Grand Dixence. «Es ist im Einzugsgebiet nicht genügend Wasser vorhanden, um beide zusätzlichen Speicher auffüllen zu können», sagt BFE-Experte Guido Federer. Weil das Projekt Gorner mit 650 Gigawattstunden zusätzlicher Winterproduktion ein hohes Speicherpotenzial aufweise, lasse es sich auch nicht einfach durch Lac de Dix (250 Gigawattstunden) ersetzen, auch nicht durch Ferpècle (80) und Haut Glacier d’Arolla (90), die im gleichen Kraftwerkskomplex seien.
Das BFE resümiert: Der 2-TWh-Zubau an steuerbarer Winterproduktion könne mit den ausgewählten 15 Projekten mit dem geringsten ökologischen Eingriff realisiert werden. Ein Verzicht auf Gorner würde laut BFE bedeuten: andere Projekte auf der Liste umsetzen, «die eine deutlich schlechtere Bewertung aufweisen». In derselben Logik ergibt es laut BFE auch keinen Sinn, die Staumauer beim Grimselsee wie geplant zu erhöhen und gleichzeitig neue Speicherprojekte im Umfeld des Rhonegletschers (Projekte Rhonesee-Grimsel) zu realisieren. Es gebe zu wenig Wasser, um die zusätzlichen Speicherkapazitäten zu füllen. Ebenso wenig lasse sich die Fassung des Turtmannsees (Projekt Turtmanngletscher) erhöhen, wenn gleichzeitig das Speicherprojekt Gougra ausgebaut werde.
Dieser gegenseitige Ausschluss reduziert laut BFE schliesslich das Potenzial jener 17 Projekte, die es nicht auf die 15er-Liste des runden Tisches geschafft haben. Es liegt bei gerade einmal 0,4 Terawattstunden zusätzlicher Winterstromproduktion.
Rentabilität offen
Die bislang nicht publizierten Daten zeigen schliesslich die erwartete Rentabilität der Projekte – ein Kriterium, das der runde Tisch in seine Entscheide nicht miteinbezogen hat. Die Bewertungen ergeben zum Beispiel für das Triftprojekt eine mittlere Rentabilität, für die Erhöhung der Grimselseestaumauer eine tiefe, für das Projekt Gorner eine hohe. Was heisst das für die Projekte?
Das BFE erläutert, die Projekte hätten einen sehr unterschiedlichen Reifegrad, die wirtschaftlichen Bewertungen seien aufgrund von teils unsicheren, nicht abgestimmter Annahmen erfolgt. Deshalb seien die Angaben zu den Projekten nicht vergleichbar und folglich auch nicht belastbar. Hinzu kommt: Die Beurteilungen erfolgten vor dem Ukraine-Krieg und den grossen Verwerfungen auf dem Energiemarkt. BFE-Experte Federer sagt: «Auch Projekte mit deklarierter hoher Rentabilität sind mutmasslich wirtschaftlich nicht selbsttragend und werden grosse Fördermittel benötigen, damit sie realisierbar werden.»
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