Queen verliest RegierungserklärungJohnsons Reformen nützen vor allem einem: Ihm selbst
Der britische Premier will die Legislaturperiode für das Parlament kippen und künftig jederzeit Neuwahlen ausrufen dürfen. Das soll ihm eine volle zweite Amtszeit sichern.
Boris Johnson ist obenauf, das bescheinigen ihm auch seine Gegner: der Wahltriumph seiner Konservativen tief im Labour-Terrain Nord- und Mittelenglands, die baldige Rückkehr zur Normalität, nachdem sich die Impfaktion im Vereinigten Königreich so erfolgreich angelassen hat.
Und am Dienstag war die Queen zu Besuch, um im Parlament seine Regierungserklärung feierlich zu verlesen. Leicht gebeugt, aber festen Schrittes absolvierte die 95-jährige Königin den jährlichen Oberhaustermin an der Seite ihres Sohnes Charles, des Thronfolgers. Es war die 67. Thronrede ihres Lebens – aber ihr erster grösserer Auftritt seit dem Begräbnis ihres Gemahls Prinz Philip im April.
Nur 74 Personen zugelassen
Unter etwas gespenstischen Umständen musste das Ganze natürlich stattfinden, da die Covid-Regeln auch in Westminster noch nicht aufgehoben sind. Maskenpflicht bestand für alle Anwesenden. Nur die Königin war ausgenommen. Und zu der Zeremonie, bei der sich sonst im House of Lords die Hermelinpelze drängen, waren diesmal nur 74 Personen zugelassen.
Der Text mit der Regierungserklärung wurde der Königin auch nicht wie üblich vom Lord Chancellor übergeben, sondern auf ein Tischlein gelegt, zur Selbstbedienung. Und die Queen war, zur Sicherheit, im Bentley statt in der Kutsche aus dem Buckingham-Palast angereist.
Bei all dem feierlichen Rahmen, den Covid dieses Jahr erlaubte, konzentrierte sich Westminsters Interesse aber natürlich auf den Inhalt dessen, was die Queen an diesem Tag Neues verkündete. Mit der Gesetzgebung, die er nun anstossen wolle, suche sich Johnson «den Weg zu einer vollen zweiten Amtszeit als Premierminister zu ebnen», beschrieb es am Dienstagmorgen, gewohnt nüchtern, Londons «Financial Times».
Unter anderem enthielt die Regierungserklärung den Plan zur Rücknahme der zeitlich fest abgesteckten Legislaturperioden von fünf Jahren, die David Cameron vor einem Jahrzehnt eingeführt hatte. Stattdessen will Johnson wieder jederzeit Neuwahlen ausrufen dürfen, wie es früher einmal üblich war.
Wähler sollen sich ausweisen müssen
Und genau das habe der Premier vor, glaubt man im Labour-Lager. Johnson wolle seine gegenwärtige Popularität für ein neues Mandat nutzen. In der Rolle des Covid-Bändigers und Oppositionsbezwingers wolle der Regierungschef seine derzeit starke Position weiter festigen und die Voraussetzungen für eine regelrechte «Boris-Ära» schaffen.
Auch «ganz übler» Methoden wolle sich Johnson dabei bedienen, klagte am Dienstag Labours Justiz-Schattenminister David Lammy. Einer der im Queen’s Speech aufgeführten Reformpläne sieht nämlich die Einführung einer Ausweispflicht bei Wahlen vor: Die Bürger sollen an der Urne einen Pass oder einen Fahrausweises vorlegen müssen, «um Wahlschwindel auszuschliessen», wie Johnson selbst es formuliert.
Johnson habe im Sinn, nach dem Vorbild Trumps «die Ärmsten und die sozialen Randgruppen im Land allen Einflusses zu berauben».
Das ist selbst vielen Tories nicht geheuer. Dies sei «eine illiberale Lösung für ein nicht existierendes Problem», sagt der beharrlich für individuelle Freiheit eintretende Konservativen David Davis. Labour-Mann Lammy wittert Schlimmeres: Johnson habe im Sinn, nach dem Vorbild Trumps und der US-Republikaner «die Ärmsten und die sozialen Randgruppen im Land allen Einflusses zu berauben» und so der Opposition zu schaden mit einem «zynischen» Plan.
Den entscheidenden Hieb sucht Johnson der Labour Party allerdings mit einem Regierungsprogramm zu versetzen, das altbackene, populistische Parolen mit einer «neuen Politik» massiver staatlicher Investitionsversprechen vermengt. Schliesslich liege ihm, hiess es gleich zu Beginn der Regierungserklärung, an einer «nationalen Genesung von der Pandemie, die das Vereinigte Königreich stärker, gesünder und wohlhabender macht als zuvor». Eine zentrale Rolle soll dabei spielen, was man in Downing Street «levelling up» nennt: das Anheben des Lebensniveaus in benachteiligten Gebieten. Dabei handelt es sich vor allem um Regionen in Nord- und Mittelengland, die Johnson Labour seit den Brexit-Tumulten abringen konnte und von denen er nun nicht mehr lassen will.
In diese Gebiete sollen Geldflüsse gelenkt, Beamte aus London geschickt, neue Strassen und kostspielige Schnellbahntrassees gelegt werden. Dort will man darbende Unternehmen unterstützen, jungen Leuten mehr Bildungschancen verschaffen, öffentliche Dienste ausbessern und das Internet ausbauen.
Restriktionen beim Bau von Häusern auf bislang unbebautem Gelände sollen abgeschafft werden, damit mehr Leute in Zukunft «in ihren eigenen vier Wänden wohnen können». Mit diesem Plan wolle man, heisst es in der Regierungszentrale, das Tory-Wahlprogramm von 2019 einlösen und die Post-Brexit- und Post-Covid-Jahre einläuten – eine bessere Zeit.
Weniger Demonstrationen, schärfere Strafen
Verbunden waren diese Versprechen im Queen’s Speech mit der Ankündigung, dass Polizeibefugnisse erweitert, Demonstrationen im Lande erschwert, Haftstrafen verschärft und Asylbewerber leichter aus Grossbritannien abgeschoben werden sollen: «Die auswärtigen Grenzen des Vereinigten Königreichs werden weiter gestärkt.» Von Europa war keine Rede mehr. Auch nicht vom Verlangen der Schotten nach Unabhängigkeit oder von Forderungen nach mehr Mitsprache anderswo.
Ihre Regierung werde allenfalls «die wirtschaftlichen Bande quer durchs Königreich stärken», verlas die Queen, was Boris Johnson ihr aufgeschrieben hatte für diesen Tag. Mit Problemen wie der Finanzierung seiner grossen Pläne oder dem gefährdeten Zusammenhalt des Königreichs will sich der Tory-Premier dann ein andermal beschäftigen. Im Augenblick reicht es ihm vollkommen, die Opposition in die Defensive gedrängt zu haben. Und, zu Beginn dieses Sommers, obenauf zu sein.
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