Wahldebakel für Labour Johnson festigt die Basis seiner Partei
Der Tory-Premier konnte seinen Erfolg von 2019 bestätigen. Britinnen und Briten honorierten seine Brexit- und seine Pandemiepolitik. Bei der Opposition herrscht Katastrophenstimmung.
Bei den landesweiten Kreis- und Kommunalwahlen dieser Woche in England hat Tory-Premierminister Boris Johnson auf spektakuläre Weise die Basis seiner Konservativen Partei gefestigt – und die Opposition abgeschmettert. Beim ersten Stimmungstest seit der Unterhauswahl von 2019 nahmen die Tories Labour in Nord- und Mittelengland mehrere Hochburgen ab.
Die Labour Party, die neuerdings nur noch über eine brüchige Basis in den alten Industriegebieten Englands verfügt, musste zahlreiche demütigende Niederlagen hinnehmen. Bei einer Nachwahl zum Westminster-Parlament im nordostenglischen Hartlepool verlor sie den dortigen Wahlkreis nach 56 Jahren an die Konservativen. Als «niederschmetternd» bezeichneten auch Labour-Politiker die Tatsache, dass ihre Partei in Hartlepool gerade noch die Hälfte der den Tories dort zugeflossenen Stimmen erhielt. (Lesen Sie hier den Kommentar zum Wahlausgang.)
Tories in London ohne Chance
Auch anderswo in ihren alten Stammgebieten unterlagen Kandidaten der linken Volkspartei den überall vorrückenden Tories. Ortschaften und kleinere Städte wie Dudley, Nuneaton, Basildon oder Harlow und ganze Grafschaften, wie Nottinghamshire und Northumberland, färbten sich im Lauf des Tages Tory-blau. Nur in der Hauptstadt London, in der am Freitagabend noch ausgezählt wurde, rechneten sich die Tories gegen den dortigen Labour-Bürgermeister Sadiq Khan keine Chance aus.
Zufrieden zeigte sich, schon nach Bekanntgabe der ersten Resultate, Premier Johnson. Seine Regierung, sagte Johnson, habe schliesslich stets danach getrachtet, «die Prioritäten der Bevölkerung» ernst zu nehmen und politisch umzusetzen. Ausserdem habe er sich «auf die Pandemie konzentriert, soweit das nur ging». Im Übrigen, sagte Johnson, habe er «den Brexit über die Bühne gebracht», wie versprochen. Und dies habe «vieles andere», wie eine gute nationale Impfpolitik, möglich gemacht.
Corbyn-Anhänger kritisieren Labour-Chef
Im Labour-Lager lösten die erlittenen Verluste Katastrophenstimmung aus. Die Partei hatte gehofft, gegen einen in Skandale verwickelten Tory-Regierungschef, der zu Beginn der Pandemie noch denkbar unpopulär war, punkten zu können. Stattdessen sahen sich die Labour-Leute am Freitag vor die Frage gestellt, ob sie überhaupt je gegen Boris Johnson ankommen könnten – und ob sie mit Sir Keir Starmer vor einem Jahr den rechten Vorsitzenden gewählt hätten für ihre Partei.
Vor allem Vertreter des linken Labour-Flügels, die sich noch immer Starmers Vorgänger Jeremy Corbyn verbunden fühlen, hielten mit Kritik am Parteichef und an seinem «zahmen» Kurs nicht zurück. «Keir Starmer muss seine Strategie neu überdenken», meinte etwa die frühere Schatten-Innenministerin Diane Abbott. Einen «dringenden Kurswechsel» hielt der Abgeordnete Richard Burgon, ein anderer Verbündeter Corbyns, für nötig. Corbyn selbst erklärte, man brauche «eine kühnere Vision».
Starmer «ein anständiger Kerl»
Selbst der eher rechtssozialdemokratische Lord Adonis, der in den Regierungen Tony Blairs und Gordon Browns Minister war, sah für Starmer keine Zukunft. Starmer sei «ein anständiger Kerl», aber keine Führungsfigur, die bei den Leuten ankomme. Er könne sein Amt nur «vorübergehend» innehaben. Sonst gehe bald «der Vorhang runter für die Labour Party».
Andere Labour-Politiker versuchten, Starmer zu verteidigen. Es dauere eben einiges länger, bis sich bei den Wählern nach den Turbulenzen der Corbyn-Ära wieder Vertrauen zur Partei einstelle, war der Tenor der Starmer-Alliierten. Labour habe sich «bisher nicht schnell genug gewandelt», erklärte Steve Reed, der Schatten-Minister für Kommunalpolitik bei Labour. «Es war immer klar, dass das länger dauern würde als ein Jahr.» Etliche Stimmen verlor Labour auch an die Grüne Partei.
16- und 17-Jährige dürfen in Schottland wählen
Mit grosser Spannung werden unterdessen die Wahlergebnisse in Schottland erwartet, wo am Donnerstag ein neues Parlament gewählt wurde. Bei diesen Wahlen geht es darum, dass Regierungschefin Nicola Sturgeon, die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), sich ein «Mandat» erhofft zur Ausschreibung eines neuen Unabhängigkeitsreferendums. Das Endergebnis in Schottland steht aber erst gegen Samstagabend fest.
Erste Resultate liessen darauf schliessen, dass die SNP jedenfalls wieder stärkste Partei sein wird in der Edinburgher Volksvertretung. Trotz kalten und unwirtlichen Wetters lag die Wahlbeteiligung in Schottland ungewöhnlich hoch. An den schottischen Wahlen teilnehmen durften erstmals auch 16- und 17-Jährige sowie fest angesiedelte EU-Bürger und Asylbewerber aus aller Welt.
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