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Streit um Fischerei bei Jersey
Boris Johnson macht Kanonenboot-Wahlkampf

In den Gewässern vor der Kanalinsel Jersey: Die HMS Tamar, ein Patrouillenschiff der Royal Navy.
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«Boris schickt Kanonenboote, um Jersey zu verteidigen», meldete der «Daily Express». Die britische Kriegsmarine sei vor der Kanalinsel im Einsatz, «um den Franzosen die Stirn zu bieten», liess sich der «Daily Telegraph» vernehmen. «Mannhaft-entschlossen» nannte die «Daily Mail» Premier Johnson, den sie winkend auf der Frontseite zeigte, ganz in Churchill-Manier.

Anderswo in Grossbritannien war man weniger begeistert von so viel Kampfbereitschaft. In Oppositionskreisen wurde die Vermutung laut, die Kanonenbootentsendung sei vor allem eine «Wahlfinte» Johnsons gewesen. Pünktlich zur Eröffnung der Wahllokale, denn heute Donnerstag finden Kommunal- und Regionalwahlen überall in England und zugleich schottische und walisische Parlamentswahlen statt.

Mit seiner Demonstration von Wehrhaftigkeit, fürchtete man im Labour-Lager, habe der Brexit-Premier nur erneut antieuropäische Wähler in Labour-Stammgebieten für sich zu mobilisieren gesucht.

Laut London «eine reine Vorsichtsmassnahme»

In der britischen Regierungszentrale in London bestand man indes darauf, dass die beiden Royal-Navy-Schiffe HMS Severn und HMS Tamar allein «zur Beobachtung» der Lage zum Jersey-Hafen St. Helier geschickt worden waren. Das Ganze sei «eine reine Vorsichtsmassnahme», nachdem 60 bis 80 französische Fischer angedroht hätten, die Zufahrt zu Jersey zu blockieren an diesem Tag.

Entstanden war das Problem, weil in der Folge des Brexit zu Ende April eine 200 Jahre alte Vereinbarung zwischen Briten und Franzosen ausgelaufen war, die es französischen Fischern erlaubt hatte, in den Gewässern um die 25 Kilometer vor den eigenen Küsten gelegenen britischen Kanalinseln mit von Frankreich ausgestellten Lizenzen zu fischen.

«Zur Vergeltung» könnte Frankreich der Insel Jersey den Strom abschalten.

Seit Anfang Mai benötigen sie Lizenzen der Jersey-Behörden – und die erwiesen sich prompt als äusserst restriktiv. Selbst Fischer, die seit langem in diesen Gewässern ihre Netze auswarfen, konnten vorige Woche nicht ohne weiteres an entsprechende Lizenzen kommen. Andere fanden sich mit so vielen Auflagen konfrontiert, dass ihnen das Fischen unmöglich wird. In Jersey beteuerte man, diese neuen Auflagen dienten nur dem Schutz bedrohter Fischbestände. (Lesen Sie zum Thema den Artikel «Wie der Brexit die Fischerei retten soll».)

Aber auf französischer Seite glaubt man, dass die Lizenzvergabe gegen Fischer aus Frankreich gerichtet ist. Die EU-Kommission warf London vor, wieder einmal gegen geltende Brexit-Bestimmungen verstossen zu haben. Zuvor hatte die Empörung in Frankreich schon zu harschen Worten – und zu unverblümten Drohungen – geführt.

Natürlich wolle man keinen Streit, erklärte Meeresministerin Annick Girardin im französischen Parlament. Aber wenn es sein müsse, könne Frankreich der Insel Jersey «zur Vergeltung» den Strom abschalten, der über drei Unterwasserkabel fast vollständig aus Frankreich kommt. Notfalls, meinte auch David Sellam, Chef der Meeresbehörden der Normandie und der Bretagne, werde man «Jersey in die Knie zwingen».

Solche Töne brachten begreiflicherweise wieder die Briten in Rage – und riefen die Royal Navy auf den Plan. «Völlig unakzeptabel» nannte die Londoner Regierung die Drohung mit der Stromabschaltung. Und sollten französische Fischer wirklich Lieferungen aus England nach Jersey blockieren, dann käme das, fand der Verband der Jersey-Fischer, «schon fast einer Kriegshandlung gleich».

An der «Front» sucht man die Lage zu entschärfen

Nicht jeder auf Jersey sieht es so. Für Chris Le Masurier, den Besitzer der Jersey Oyster Company, ist eher «die Inkompetenz eines Haufens von Idioten» in der Jersey-Administration an den neuen Feindseligkeiten schuld. Die betreffenden Beamten, klagt Le Masurier, hätten schlicht am letzten Freitagabend die Liste der neuen, scharf reduzierten Lizenzen veröffentlicht und seien dann bis Dienstag ins Maifeiertagswochenende entflohen. Eine «komplette Beleidigung» der französischen Nachbarn, mit denen man sich immer gut verstanden habe, stellten ein solches Vorgehen und das ganze neue Lizenzverfahren dar.

Frankreich schickte unterdessen am Donnerstag ebenfalls zwei Kriegsschiffe Richtung Jersey – «natürlich nicht in militärischer Mission». An der «Front» suchte man derweil die Lage nach Kräften zu entschärfen. Nachdem es zu ersten Verhandlungen zwischen den französischen Fischern und den Jersey-Behörden gekommen war, tuckerten die Franzosen am Nachmittag erst einmal ab aus dem umstrittenen Gelände. Johnson kündigte daraufhin an, dass auch die Patrouillenschiffe der Royal Navy abziehen werden. Schockiert waren freilich beide Seiten darüber, wie schnell dieser Konflikt entstanden und eskaliert war.