«Partygate» in GrossbritannienRegierung entschuldigt sich bei der Queen
Der Skandal um Boris Johnson weitet sich aus. Mitarbeiter des Büros des Premierministers haben laut Medienbericht eine weitere Feier abgehalten.
Die britische Regierung hat sich nach Enthüllungen über Partys in der Downing Street am Vorabend der Beerdigung von Prinz Philip bei Königin Elizabeth II. entschuldigt. «Es ist zutiefst bedauerlich, dass dies in einer Zeit der nationalen Trauer geschehen ist», sagte ein Sprecher von Premierminister Boris Johnson am Freitag. Downing Street habe sich auf offiziellem Weg beim Palast entschuldigt.
Wie der «Telegraph» berichtete, hatten etwa 30 Mitarbeiter am 16. April 2021 bis in die Nacht im Amtssitz getrunken und getanzt. Damals galten strenge Abstandsregeln wegen der Corona-Pandemie. Die Queen musste wegen der Vorschriften am nächsten Tag ganz alleine in der Kapelle ihrer Residenz Windsor sitzen, als dort ihr Ehemann, mit dem sie 73 Jahre verheiratet war, bestattet wurde. Johnson nahm nicht an den Feiern teil und war auch nicht in der Downing Street anwesend.
Das Foto der einsamen Queen war einer der prägenden Eindrucke der Pandemie und berührte die Herzen von Millionen Briten. Umso grösser ist nun die Empörung. «Während sie trauerte, feierte No. 10», sagte der Chef der Liberaldemokraten, Ed Davey. Auch wenn Johnson selbst nicht an den Partys am 16. April 2021 teilnahm und auch nicht in der Downing Street anwesend war, wird er für das Verhalten seiner Mitarbeiter verantwortlich gemacht. «Ich habe keine Worte für die Kultur und das Verhalten in No. 10», sagte die Vizechefin der grössten Oppositionspartei Labour, Angela Rayner. Der Fisch stinke vom Kopf.
«Während sie trauerte, feierte No. 10»
Es ist die erste Lockdown-Party im Regierungssitz aus dem Jahr 2021, die bekannt wird. Johnson steht bereits wegen Verstössen gegen die Corona-Regeln während des ersten Lockdowns im Mai 2020 massiv unter Druck. Am Mittwoch hatte er im britischen Parlament den Besuch einer Gartenparty am Regierungssitz in der Downing Street eingeräumt und um Entschuldigung gebeten. Damals befand sich das Land im strikten Corona-Lockdown und selbst Treffen von mehr als zwei Menschen im Freien waren verboten.
Wegen der zeitlichen Nähe zur Beisetzung des im Volk äusserst beliebten Herzogs von Edinburgh gelten die nun bekannt gewordenen Feierlichkeiten als besonders gefährlich für Johnson. Downing Street dementierte die Partys nicht, wie auch die BBC berichtete. Johnsons ehemaliger Kommunikationsdirektor James Slack habe eine Abschiedsrede gehalten, um sich bei seinen Mitarbeitern zu bedanken, sagte eine Sprecherin. Auf weitere Details ging sie nicht ein. Laut «Telegraph» ging es bei der zweiten Verabschiedung um einen persönlichen Fotografen des Premiers.
Forderungen nach Rücktritt werden lauter
Der neue Bericht kommt für Johnson zur Unzeit. Nach seiner Entschuldigung hatten die meisten Mitglieder seines Kabinetts ihm öffentlich ihre Unterstützung versichert – wenn auch potenzielle Nachfolger wie Rishi Sunak sich dabei auffällig zurückhielten. Sunak meldete sich erst acht Stunden nach Johnsons Rede im Parlament zu Wort und erklärte am Mittwochabend auf Twitter, der Premierminister habe sich «zu Recht entschuldigt».
Der Chef der Konservativen Partei in Schottland, Douglas Ross, stellte sich offen gegen Johnson und forderte wie vier andere Tory-Abgeordnete dessen Rücktritt. Der Johnson-Vertraute Jacob Rees-Mogg bezeichnete Ross daraufhin als «Leichtgewicht». Diese Bemerkung wurde wiederum vom Tory-Parlamentarier Tobias Ellwood als «nicht hilfreich» kritisiert. Ellwood sagte «Times Radio» am Donnerstag, er begrüsse Johnsons Entschuldigung. «Aber die Sache ist noch lange nicht ausgestanden», betonte er. Der Skandal habe «eine verständliche, echte Wut» hervorgerufen.
Auch der für Nordirland zuständige Staatssekretär Brandon Lewis äusserte Verständnis für die «Wut» und «Frustration» der Bürger. Er habe die Entschuldigung des Regierungschefs aber als «sehr, sehr aufrichtig» empfunden.
Die Opposition fordert den Rücktritt des Premiers. Johnsons Haltung sei «untragbar», sagte die Labour-Abgeordnete Lisa Nandy der BBC. Bei Hinterbliebenen von Corona-Toten, die sich nicht verabschieden konnten von ihren Angehörigen, habe Johnsons Teilnahme an der Party «Entsetzen» und «Abscheu» ausgelöst. Nandy forderte Ermittlungen der Polizei, die entsprechende Untersuchungen nicht ausschliesst.
«Die Sache ist noch lange nicht ausgestanden»
Zunächst wird der Fall aber von der Regierungsbeamtin Sue Gray geprüft, die bereits Untersuchungen zu mehreren anderen mutmasslichen Partys unter Verstoss gegen die Corona-Regeln in Regierungskreisen leitet. Johnson forderte, das Ergebnis einer laufenden internen Untersuchung abzuwarten, bevor Konsequenzen gezogen werden.
Seit dem Bekanntwerden der «Partygate»-Vorwürfe im vergangenen Monat sind die Zustimmungswerte des Premiers eingebrochen. Eine neue repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Zeitung «The Times» ergab, dass Labour mit zehn Prozentpunkten Vorsprung vor den Tories liegt – der grösste Vorsprung seit 2013. Sechs von zehn Wählern glauben zudem, dass Johnson zurücktreten sollte.
AFP/SDA/aru
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