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Brexit-Streit verschärft sich
Johnson droht der EU mit der australischen Lösung

Droht mit einer Anschlusslösung nach australischem Vorbild: Grossbritanniens Premier Boris Johnson.
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Tony Abbott eilt nicht der beste Ruf voraus. Von ihm sind homophobe und frauenfeindliche Äusserungen verbürgt, aber das hielt die britische Regierung nicht davon ab, den früheren australischen Regierungschef am Freitag zum Handelsberater zu ernennen. Angesprochen auf Abbotts Ansichten sagte Premierminister Boris Johnson zwar, dass er damit «überhaupt nicht einverstanden» sei, aber er stimme auch nicht mit allen überein, die der Regierung in irgendeiner Form dienten. Abbott bedankte sich jedenfalls für seine Ernennung und erklärte, dass er sich freue, Grossbritannien dabei zu helfen, neue Handelsabkommen zu schliessen.

In Westminster sorgte der Fall Abbott nicht nur unter Johnsons Gegnern für allerlei Kritik und Spott. So mancher argwöhnte, dass Johnson den Australier womöglich bald gut gebrauchen könne: Sollte es nämlich bis Jahresende keine Einigung auf ein Handelsabkommen mit der EU geben, komme es schliesslich zur australischen Lösung – und mit dieser kenne sich Abbott zumindest aus. Dazu muss man wissen: Australien hat keinen Handelsvertrag mit der Europäischen Union. (Lesen Sie dazu: 16 Wochen vor dem Brexit).

Ex-Premierminister Australiens Tony Abbott, hilft Grossbritannien neue Handelsabkommen zu schliessen.

In der britischen Regierung hat es sich mittlerweile eingebürgert, nicht mehr von einem No-Deal-Szenario zu sprechen, sondern von einer australischen Lösung. Das klingt nicht nur besser, sondern auch harmloser. Johnson erklärte seinen Landsleuten vor dem Wochenende, dass Grossbritannien selbst dann «mächtig florieren» werde, wenn es mit der EU «ein Abkommen im australischen Stil» geben sollte. Und in Richtung Brüssel sagte er: «Wir werden das durchstehen. Es ist absolut wichtig, dass unsere Partner verstehen, dass wir das tun werden, was wir tun müssen.»

Der Ton zwischen London und Brüssel war mal höflicher, mal härter

Am Montag will Johnson in Richtung Brüssel nachlegen. Der Ton: fordernd bis scharf. Wie aus vorab veröffentlichten Auszügen einer Rede hervorgeht, verlangt der britische Premier eine Einigung auf ein Handelsabkommen bis zum 15. Oktober: «Wenn wir uns bis dahin nicht einigen können, sehe ich kein Freihandelsabkommen zwischen uns und wir sollten das beide akzeptieren und getrennte Wege gehen.» Auch das, so Johnson, sei ein «gutes Ergebnis» für sein Land.

Nun sind gegenseitige Drohungen nichts Neues im Brexit-Drama. Der Ton zwischen London und Brüssel war in den vergangenen vier Jahren mal höflicher, mal härter. Jetzt hat wieder eine harte Phase begonnen. Das liegt einerseits an der wenig verbleibenden Zeit, ein Abkommen zu erreichen. Andererseits ist die Tonlage in London immer auch innenpolitischen Zwängen geschuldet.

Grundsätzlich gilt: Je stärker Johnson unter Druck steht, desto schärfer werden die Attacken auf Brüssel. Überbringer der Angriffe sind meist Zeitungen, die Johnson mitunter wohlgesinnt sind. Und so schrieb der Daily Telegraph am Samstag, dass die EU-Staaten dabei seien, ihren Chefverhandler Michel Barnier zu entmachten. In der Sunday Times wurden hochrangige Personen aus der Regierung zitiert, die die Wahrscheinlichkeit eines Deals bei lediglich 20 Prozent sehen. Und dann war da noch das Interview von Johnsons Chefverhandler David Frost in der Mail on Sunday, in dem er klar sagte, was die Regierung von einem No-Deal-Szenario halte: «Ich glaube nicht, dass uns das in irgendeiner Weise Angst einjagt.»

Johnson zeigt Entschlossenheit im Brexit-Streit

Diese Worte mögen Teil der britischen Verhandlungstaktik sein, sie sind aber vor allem auch an die eigene Anhängerschaft gerichtet. Nachdem die Beliebtheitswerte von Premier Johnson in der Corona-Krise gesunken sind, kann er zumindest im Brexit-Streit das zeigen, was ihm bei der Bekämpfung der Pandemie fehlte: Entschlossenheit.

Ausserdem verdrängt Johnson damit Schlagzeilen, die ihm nicht gefallen haben können. Im August waren die Zeitungen vor allem damit beschäftigt, die diversen Kehrtwenden seiner Corona-Politik aufzulisten – sogar regierungsnahe Blätter hielten dem Premier «U-Turns ohne Ende» vor. Nach dem Willen von Downing Street soll damit nun Schluss sein.

Und dann sind da noch die schlechten Wirtschaftsaussichten

Was bleibt, ist allerdings der Streit innerhalb der Regierung. Dem Vernehmen nach sind nämlich längst nicht alle Kabinettsmitglieder davon überzeugt, dass Grossbritannien einen No-Deal so gut verkraften könnte wie Johnson öffentlich behauptet. Es gibt Stimmen, die davor warnen, dass ein Scheitern der Verhandlungen mit Brüssel das Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs beschleunigen könnte. In London ist jedenfalls die Sorge gross, dass dann die Zustimmung der Schotten zu einem erneuten Unabhängigkeitsreferendum weiter steigen dürfte.

Und dann sind da noch die schlechten Wirtschaftsaussichten. Allein wegen der Corona-Krise geht die Bank of England davon aus, dass die britische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 9,5 Prozent sinkt – ein Konjunktureinbruch, wie ihn Grossbritannien seit mehr als 100 Jahren nicht erlebt hat. Die britischen Unternehmensverbände warnen deshalb vor einem doppelten Schock, wenn die Gespräche mit Brüssel scheitern sollten.

In Downing Street zeigt man sich davon allerdings unbeeindruckt. Dort ist vielmehr von der Freiheit die Rede, endlich das tun zu können, was man möchte. Und was die wirtschaftlichen Folgen eines No-Deals betrifft, heisst es: Im Zuge von Corona könne dies doch keiner genau beziffern.