Ringen um Nach-Brexit-AbkommenEnde Jahr droht der harte Bruch
Die vierte Verhandlungsrunde ist beendet: Grossbritannien und die EU kommen in den Gesprächen über eine künftige Partnerschaft nicht voran.
Wenigstens in einem Punkt sind sich beide Seiten einig. Man kommt nicht voran bei dem Versuch, die künftige Beziehung mit einem Handels- und Partnerschaftsabkommen zu regeln. Das haben der EU-Chefunterhändler Michel Barnier und sein britischer Gegenspieler David Frost festgestellt. Ohne neuen Vertrag drohen zwischen Grossbritannien und der EU Zölle sowie andere Handelshemmnisse, wenn Ende Jahr die Übergangsfrist nach dem Brexit ausläuft.
«Es ist meine Verantwortung, die Wahrheit zu sagen», erklärte Michel Barnier. Es habe in dieser Woche keine wesentlichen Fortschritte gegeben. «Wir können so nicht endlos weitermachen», mahnte der Franzose. Dies umso mehr, als die Briten sich weigerten, die Übergangsfrist zu verlängern und den Gesprächen über die künftige Beziehung mit der EU mehr Zeit zu geben. Und die Zeit wird knapp, weil bis Ende Jahr das Partnerschaftsabkommen nicht nur ausgehandelt, sondern auch in allen 27 Mitgliedsstaaten sowie im britischen Parlament ratifiziert werden müsste.
Am Freitag ging die vierte Verhandlungsrunde zu Ende. Bei seiner Medienorientierung gab sich Barnier keine Mühe, seine Frustration zu verbergen. «Wir nähern uns dem Moment der Wahrheit», sagte er. Dabei liess Barnier einmal mehr durchblicken, dass die Briten gar nicht ernsthaft verhandelten und es Ende Jahr auf einen No-Deal ankommen lassen wollten – das wäre ein Austritt auch aus Binnenmarkt und Zollunion ohne Sicherheitsnetz für Wirtschaft und Lieferketten.
Gleiche Wettbewerbsbedingungen
Mehrmals hielt Barnier die Politische Erklärung in die Kameras, ein 27-seitiges Papier, in dem beide Seiten einst die Leitlinien für die künftige Beziehung vereinbart hatten. Die Briten wollten von den dort vereinbarten Grundsätzen abweichen, obwohl Premier Boris Johnson dem Papier zugestimmt habe, als Anhang zum Austrittsabkommen vom letzten Jahr. Hauptstreitpunkt ist das sogenannte «level playing field», also vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Die EU pocht darauf – als Bedingung für ein Handelsabkommen ohne Zölle, Quoten oder andere Handelshemmnisse. Letzteres wollen die Briten, um die Lieferketten zum Festland nicht zu gefährden.
Barnier wiederholte auch am Freitag: Die EU hat in keinem ihrer Handelsabkommen mit Drittstaaten auf Zölle oder Quoten verzichtet, was üblicherweise für jede Produktkategorie in mehrjährigen Verhandlungen vereinbart werden muss. Doch die Briten wollen weiterhin Handel ohne diese Hindernisse betreiben können. Ohne vergleichbare Standards bei den Steuern, den Staatsbeihilfen, den Umwelt- oder Sozialauflagen müssten die Unternehmen auf dem Festland Dumping und unfairen Wettbewerb der Briten fürchten.
Beide Seiten hoffen nun auf das Spitzentreffen zwischen Boris Johnson und Ursula von der Leyen.
Der britische Chefverhandler David Frost äusserte sich im Vergleich zu Barnier mit Understatement: «Der Fortschritt bleibt begrenzt.» Man habe wohl ein leicht unterschiedliches Verständnis, wie wortgetreu die Politische Erklärung in einen Vertragstext zu übertragen sei. Frost will jedoch die Gespräche fortsetzen und intensivieren. Dass es nicht vorangeht, schrieb der Brite auch der Tatsache zu, dass seit Corona nur noch per Videokonferenz verhandelt wird.
Bei der ersten Verhandlungsrunde war noch eine hundertköpfige Delegation aus London angereist: «Wir nähern uns den Grenzen dessen, was durch das Gesprächsformat aus der Ferne erreicht werden kann», liess Frost verlauten. Beide Seiten setzen nun Hoffnungen auf ein Spitzentreffen zwischen Boris Johnson und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor Ende Juni, das Bewegung in die festgefahrenen Gespräche bringen soll.
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