16 Wochen vor dem BrexitDie Zeit für einen Deal wird knapp – und die Hürden sind hoch
Die achte Verhandlungsrunde, die am Montag beginnt, muss schnelle Ergebnisse liefern: Der Handelsvertrag zwischen Grossbritannien und der EU muss bis Ende Oktober stehen, damit er am 1. Januar 2021 in Kraft treten kann.
Michel Barnier, der EU-Chefverhandler für den Brexit, war bereits vorige Woche in London, um sich mit seinem britischen Gegenüber David Frost auszutauschen. Das Duo wollte die achte Verhandlungsrunde zwischen der EU und der britischen Regierung vorbereiten, die am Montag startet. Doch die Unterredung mit Frost verlief nicht nach Barniers Geschmack.
Der Franzose warf dem Briten vor, Kompromissangebote der EU auszuschlagen; er sei «beunruhigt und enttäuscht über das Versäumnis des Vereinigten Königreichs», wichtige Streitpunkte konstruktiv anzugehen. In London weist man Barniers Anschuldigungen zurück. Grossbritannien werde kein «client state» der EU, sagte Frost der «Mail on Sunday». Er werde keine Kompromisse machen, wenn es darum gehe, «Kontrolle über unsere eigenen Gesetze zu haben». Fest steht: Die Zeit für einen Deal wird knapp – und die Hürden sind hoch.
Kurze Frist und hoher Einsatz
Grossbritannien hat die EU zwar schon am 31. Januar verlassen, doch seitdem gilt eine Übergangsphase, in der das Königreich in Binnenmarkt und Zollunion bleibt. Für Bürger und Firmen änderte sich fast nichts. Diese Phase läuft zum Jahreswechsel aus, und der britische Premierminister Boris Johnson hat die Frist für den Verlängerungsantrag verstreichen lassen. Vom 1. Januar an werden Geschäfte über den Ärmelkanal mit bürokratischen Pflichten verbunden sein. Um diese zumindest zu verringern und die Einführung von Zöllen und Zollkontrollen zu verhindern, wollen London und Brüssel bis Jahresende einen Freihandelsvertrag abschliessen. Ausserdem soll es noch Vereinbarungen zur Zusammenarbeit in anderen Bereichen geben – etwa in der Sicherheitspolitik.
Seit März verhandeln Frost und Barnier, aber der Durchbruch blieb bislang aus. Nun wird die Zeit knapp, denn solchen Verträgen müssen alle 27 EU-Regierungen, das Europaparlament und die nationalen Parlamente zustimmen, inklusive natürlich das britische. Fachleute in Brüssel und London rechnen vor, dass der Handelsvertrag deswegen bis Ende Oktober stehen müsse, damit er am 1. Januar in Kraft treten könne. Ohne Abkommen müssten beide Seiten automatisch Zölle erheben – das schreiben die weltweiten Handelsregeln vor.
Brüssel will sicherstellen, dass britische Subventionsregeln nicht laxer ausfallen als die EU-Vorschriften.
Die grösste Hürde für einen Handelsvertrag betrifft die Forderung der EU, dass es faire Spielregeln geben müsse für den Wettbewerb zwischen Unternehmen aus Grossbritannien und der Europäischen Union. Brüssel möchte den zollfreien Handel nur gewähren, wenn London garantiert, kostspielige Sozial- oder Umweltstandards nicht abzusenken zum Vorteil heimischer Betriebe. Ausserdem verlangte Brüssel beim Start der Gespräche, dass die strengen EU-Regeln für staatliche Subventionen im Königreich weitergelten sollten. Inzwischen ist Barnier Frost entgegengekommen: Er will nur noch sichergestellt sehen, dass britische Subventionsregeln nicht laxer ausfallen als die EU-Vorschriften.
Doch das geht Johnson noch immer zu weit. Der Premierminister möchte, dass Grossbritannien als souveräne Nation selbst entscheiden kann, welchen Wirtschaftsbereich sie wie stark staatlich fördert. In London ist das Unverständnis darüber gross, warum Grossbritannien als ehemaliges EU-Mitglied mehr Zusicherungen in der Wettbewerbspolitik machen sollte als etwa Kanada oder Japan. Mit diesen Staaten hat die EU ein klassisches Freihandelsabkommen geschlossen – mehr möchte Grossbritannien auch nicht, heisst es.
Barnier lässt dieses Argument nicht gelten. Die Kommission verweist auf die geografische Nähe und die enge Verflechtung der britischen mit den anderen europäischen Volkswirtschaften: Deswegen müssten schärfere Regeln gelten. Ausserdem monierte Barnier, dass die Briten in den Gesprächen viele Erleichterungen für ihre Firmen durchsetzen wollten, die weit darüber hinausgingen, was übliche EU-Handelsverträge bieten.
Feilschen um den Fisch
Schwierig sind auch die Gespräche über ein Fischerei-Abkommen. Und ohne Einigung in diesem Bereich wird Brüssel keinem Handelsvertrag zustimmen. Bislang legt die EU in ihrer gemeinsamen Fischereipolitik fest, dass britische Fischer in ihren eigenen Gewässern vergleichsweise wenig fangen dürfen – zum Vorteil von Flotten aus EU-Staaten. So holen etwa deutsche Hochseefischer ihren kompletten Nordsee-Heringsfang aus britischem Seegebiet.
Die Position der EU war anfangs, dass diese günstige Verteilung so bleiben soll. London lehnte das ab. Barnier sagt nun, er habe verstanden, dass Johnson den heimischen Fischern zeigen müsse, «dass der Brexit einen echten Unterschied macht» – sprich: dass sie zulasten der EU-Fischer mehr Fangquoten erhalten, zulasten der EU-Fischer. Aber konkrete Fortschritte gibt es noch nicht. Der EU ist zudem wichtig, eine langfristige Lösung zu finden und nicht jedes Jahr von neuem mit London über die Aufteilung von Fangquoten sprechen zu müssen. Doch genau das möchte Johnson.
London will sicherstellen, dass es nicht mehr der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unterliegt.
Das Vereinigte Königreich will auch sicherstellen, dass es nicht mehr der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unterliegt. Dies war von Anfang an eines der Kernanliegen der Brexit-Verfechter. Auf Brüsseler Seite gab es in dieser Frage bereits Bewegung. Zwar müsse klar sein, dass der EuGH immer das letzte Wort habe, wenn es um die Auslegung von EU-Recht gehe, sagt ein Kommissionsbeamter: «Aber die Verträge mit Grossbritannien werden ja nicht ausschliesslich auf EU-Recht basieren.»
Einigkeit besteht darüber, dass es in Streitfällen einen Schlichtungsmechanismus geben muss. Möglich wäre ein paritätisch besetztes Gremium mit Richtern des EuGH und des britischen Supreme Court. Vorsitzender könnte ein Vertreter eines Landes sein, der weder Brite noch EU-Bürger ist.
Banken stehen schlechter da
Die Finanzbranche spielt in Barniers und Frosts Debatten nur eine Nebenrolle. Dabei ist London Europas wichtigster Finanzplatz. Brüssel will den Marktzugang britischer Banken und Versicherer aber nicht in den Gesprächen über den Handelsvertrag klären, sondern über das sogenannte Äquivalenzprinzip: Erkennt die EU an, dass die Regulierung in einem Nicht-EU-Staat äquivalent, also gleichwertig zu Brüsseler Vorgaben ist, kann sie den dortigen Finanzfirmen ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt gewähren.
Allerdings decken Äquivalenzregeln hier nicht sämtliche Finanzprodukte ab, und die Kommission kann die Begünstigungen jederzeit wieder einkassieren, ohne dass die Regierung des betroffenen Staates dies verhindern könnte – eine deutliche Verschlechterung zur jetzigen Lage.
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