Neue MusikJetzt wird es heiss – das ist der Soundtrack für Tropennächte
Zweimal Jazz aus London, wie er unterschiedlicher nicht sein könnte: Greg Foat & Gigi Masin und Yoni Mayraz zeigen, wie zugänglich der Musikstil sein kann, ohne banal zu klingen.
London steht für Indie-Sounds oder Punkrock – so einfach scheint das im Popkosmos. Dabei hat die britische Hauptstadt seit jeher auch eine pulsierende Jazzszene. Sie bringt immer wieder spannende Protagonistinnen wie Nubya Garcia oder die Sons of Kemet hervor. Zurzeit stechen zwei Alben hervor, das eine ein Debüt, das andere von einem etablierten Künstler.
Der Pianist und Komponist Greg Foat veröffentlicht zwar erst seit etwas über zehn Jahren Musik, hat aber bereits 18 EPs und Alben in seinem Portfolio. Darunter befinden sich zahlreiche Kollaborationen, seinen Stil zu fassen, ist schwer. Mal klingt Foats Jazz klassisch, oft entspannt im Lounge-Musik-Stil, dann wieder orchestral üppig. Zuletzt frönte er gemeinsam mit der britischen Saxofon-Institution Art Themen auf der im Frühjahr erschienenen EP «Off Piste» einer Art Ambient Jazz – für ein maximal tiefenentspanntes Après-Ski.
Kühlung für die heisse Sommernacht
Relaxed-sphärisch geht es über weite Strecken auch auf «Dolphin» zu, Foats aktuellem Album, auf dem er mit dem italienischen Künstler Gigi Masin zusammenspannt. Masin war seit den Achtzigerjahren Teil der Electro-Underground-Szene in seinem Land, gönnte sich aber immer wieder Pausen von seinem kreativen Schaffen. Zuletzt, als ein Hochwasser in seiner Heimatstadt Venedig 2007 weite Teile seines musikalischen Oeuvres – bekannt wurde er mit seinem 1986er-Album «Wind» – zerstörte.
Nach einem Comeback in den Nullerjahren mit dem Trio Gaussian Curve und in Kollaborationen mit dem Duo Tempelhof resultiert nun also die Zusammenarbeit mit Foat in «Dolphin». Abgesehen von zwei kürzeren Interludien bleibt den sechs Stücken auf dem Album reichlich Zeit, um sich zu entwickeln, sie sind alle mindestens sechs Minuten lang. Die Musik auf «Dolphin» wirkt oft wie ein kühlendes Lüftchen in einer heissen Sommernacht. Das achteinhalbminütige «Lee» führt in das Album ein und gibt die Richtung vor: Man stelle sich vor, die Sonne geht gerade unter, die Hitze des Tages lastet auf dem Körper. Die heraufziehende Dunkelheit verspricht Linderung.
«London Nights» spinnt das Thema der schwülen Tropennacht weiter. Ein träges Schlagzeug bildet ein lässiges Fundament für einen Bass, der mitunter fast zu verschwinden droht, so beiläufig wird er gespielt. Tastenmann Foat spielt darüber eine Melodie, die in glockenhellen Höhepunkten kulminiert, aber immer wieder zur Ruhe zurückfindet. Schlagzeuger Moses Boyd lässt beiläufig Breaks einfliessen, die andeuten: Heute Nacht könnte noch etwas gehen. Dieses Stück ist der heimliche Star des Albums.
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Auf «Love Theme» tritt Flötistin Siobhan Cosgrove in Erscheinung und bietet sich ein wunderbar harmonisches Wechselspiel mit Foat. Ihr Spiel wirkt manchmal wie vom Wind verweht, kaum ein Instrument auf «Dolphin» ist ätherischer, flüchtiger.
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Trotz all der windigen Allüren, die das Album umspielen, ist keine wirkliche Abkühlung zu hören. Einer heissen Nacht in der Stadt gleich, in der sich kein Lüftchen regt, bis auf den «Viento Calido» vielleicht, bleibt die Musik träge, manchmal fast wie ein schwitziger Fiebertraum. Und das alles klingt hervorragend.
Und jetzt mit Energie
Wenn man direkt im Anschluss an «Dolphin» das Debütalbum von Yoni Mayraz, «Dybbuk Tse!» hört, bildet das Intro «Landed» einen perfekten Übergang und signalisiert, dass es von nun an mit der hochsommerlichen Trägheit vorbei ist.
Yoni Mayraz hat sich seit 2020 mit einigen Singles und der EP «Rough Cuts» einen Namen in der britischen New-Jazz-Szene gemacht. In Tel Aviv aufgewachsen, ist Mayraz nun ebenfalls in London heimisch. Der «Dybbuk» im Titel ist im jüdischen Volksglauben der Geist eines in Sünde Verstorbenen, der in einen lebenden Köper fährt. Das titelgebende «Dybbuk Tse!» ist der Befehl an den Geist, den befallenen Körper zu verlassen.
Bei Yoni Mayraz merkt man: Hier ist ein Ensemble am Werk, das eingespielt und spielfreudig ist.
In diesem Sinn kann das Debütalbum als der Exorzismus von bösen Geistern gelesen werden. Was auf dem Papier beklemmend und düster daherkommen sollte, klingt zum Glück ganz anders. Aber hier herrscht eine deutlich andere Energie als noch auf «Dolphin».
Nach dem bereits erwähnten Intro wartet mit «Pawnshop» gleich ein erstes Highlight: Der Bass von Eli Orr bietet einen funky Einstieg in das Stück, bei dem alle Beitragenden ihr Können zeigen dürfen. Die Bläsersektion, bestehend aus Matan Vardi (Saxofon), Joe Melnicove (Flöte) und Roy Zuzovsky (Trompete) gibt das Thema vor, das dann von Mayraz am Keyboard interpretiert wird. Einer Liveperformance gleich bekommt jeder Instrumentalist seinen Moment im Scheinwerferlicht; sogar Roy Reemy, dessen Schlagzeug sehr präsent ist, darf ein kurzes Solo trommeln. Man merkt: Hier ist ein Ensemble am Werk, das eingespielt und spielfreudig ist.
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Das zentrale Titelstück wird unmissverständlich eingeführt: «You have no right here, Satan!» Der Exorzismus ist jetzt auf seinem Höhepunkt angekommen – dafür klingt es aber noch recht entspannt. Hypnotisierende Keyboard-Läufe und knackige Breaks der gesamten Band machen dem letzten Dämon den Garaus. Mitten im Stück meint man dann, dabei zuzuhören, wie der böse Geist den besessenen Körper verlässt. Das Saxofon klingt nach einem langen Soloteil zunehmend entspannter, während die Band in einen angenehmen Flow findet. Jetzt ist alles gut.
Mayraz Markenzeichen, die Verschmelzung von Jazz mit Elementen von Hip-Hop und nahöstlichen Klängen, wird auf «1999» voll ausgespielt. Anstatt Raps gibt es Saxofon – was als träge Sommernacht begann, ist mittlerweile im Club angekommen.
Die Band ist längst warmgespielt und spielt sich die einzelnen Parts zu, mal schneller, wie auf «International Plots», dann wieder etwas zurückhaltender, ja, fast lässig, wie auf «Painkillers». Hier merkt man die laue Sommernacht, die einem doch irgendwie in den Knochen steckt: Das Saxofon von Vardi wirkt fast etwas lethargisch – aber immer noch sehr cool. Und ganz am Ende, beim Outro-Stück «The Biggest Fear», sind wir dann fast wieder beim Ambient Sound von «Lee» angelangt, mit dem Foats und Masins «Dolphin» begonnen hatte.
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So unterschiedlich die zwei Alben sind: die britisch-italienische Koproduktion «Dolphin» und das mystisch angehauchte «Dybbuk Tse!» sind die perfekten Jazzplatten für diesen Sommer – für sie kann es gar nicht heiss genug sein.
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