Daten zur Gesundheit Jetzt kommt das digitale Patientendossier als App
Weil das Projekt beim Bund nicht vorankommt, lancieren nun Krankenkassen, Arztpraxen und Spitäler ein eigenes Angebot für alle Versicherten. Doch da gibt es einen Haken.
Ein chronisch kranker Patient wird in ein Schweizer Spital eingewiesen und muss dort ein MRI des Kopfes machen lassen. Doch erst nach dem Ausfüllen des Fragebogens erfahren die Ärzte, dass der Mann einen Herzschrittmacher hat, was bei der Untersuchung zu technischen Problemen führen kann. Viele Schrittmacher sind nicht MRI-tauglich. Allerdings kann der Patient den Ärzten nicht sagen, welcher Typ Schrittmacher ihm eingesetzt worden ist. Die Folge ist, dass die Untersuchung um einen Tag verschoben werden muss, weil das Spital zunächst die notwendigen Informationen einholen muss. Dem Spital beschert das unnötige Kosten und Umtriebe.
Zeuge dieser Szene wurde kürzlich der IT-Geschäftsführer Peter Mittemeyer, als er sich selber ins Spital begeben musste. Er leitet die Firma Compassana, die eine digitale Gesundheitsplattform entwickelte. Vorbild ist Dänemark, wo sich der beschriebene Vorfall so kaum ereignet hätte. Denn dort können alle Patientinnen und Patienten online ihre gesamte Krankenakte abrufen. Ärztinnen und Ärzte sowie Spitäler können mit Einwilligung des Patienten sofort auf die Daten zugreifen. Der Typ des Herzschrittmachers hätte in kürzester Zeit ermittelt werden können.
Zwar gibt es in der Schweiz mit dem elektronischen Patientendossier (EPD) ebenfalls die Möglichkeit, medizinische Daten abzuspeichern und bei Bedarf abzurufen. Doch nur eine kleine Minderheit von rund 18’000 Versicherten besitzt überhaupt ein solches Dossier. Zudem entscheiden in der Schweiz die Versicherten, welche Daten im EPD abgelegt werden. Hätte der erwähnte Patient ein EPD gehabt, wäre es nicht sicher gewesen, dass die Angaben zum Herzschrittmacher verfügbar gewesen wären.
Federführend ist Compassana
Nun soll ein gemeinsames Projekt mehrerer Krankenversicherer, Spitäler und ambulanter Praxen das ermöglichen, was in Dänemark längst Realität ist. Über eine App haben Patientinnen und Patienten Zugriff auf ihre medizinischen Daten, seien es MRI-Aufnahmen, Medikationspläne oder Diagnosen. Mit Einwilligung des Patienten können auch Ärzte jederzeit medizinische Informationen erhalten.
Federführend ist die Firma Compassana, an der die Versicherer Helsana, Groupe Mutuel und Swica, die Hirslanden-Spitalgruppe, die Spitalgruppe Luks (Luzerner Kantonsspital und weitere Spitäler) sowie die der Migros gehörenden Medbase-Gesundheitszentren und -Apotheken beteiligt sind. Ziel sei es, möglichst viele Arztpraxen und Spitäler zum Mitmachen zu bewegen, sagt Mittemeyer. Compassana sei zurzeit mit über 20 weiteren Spitälern und vielen Ärztenetzwerken in Verhandlung.
Compassana vernetzt die Gesundheitsinformationen, die weiterhin bei den jeweiligen Spitälern und Praxen gespeichert bleiben. Die Kassen selbst haben laut Mittemeyer keinen Zugriff auf die Patientendaten. Compassana arbeitet mit einem Technologiepartner aus Dänemark zusammen, der beim Aufbau hilft. In der Schweiz ist die Vernetzung allerdings einiges anspruchsvoller als in dem nordischen Land. In den Schweizer Arztpraxen werden über fünfzig verschiedene Praxisinformationssysteme verwendet, in Dänemark sind es deren sechs.
Die App steht den Versicherten aller Kassen offen. Es liegt aber an den Versicherten, ob sie sie anwenden wollen.
In der Schweiz gibt es 276 Spitäler, Dänemark wird nach Abschluss seiner Spitalreform nur noch an 20 Standorten Krankenhäuser betreiben. Doch auch wenn das Gesundheitssystem der Schweiz föderalistischer aufgebaut ist, zeigt sich Mittemeyer überzeugt, dass die Schweiz den Rückstand bei der Digitalisierung aufholen kann, wenn auch nicht in kürzester Zeit. «Dänemark hat sein System während der vergangenen 25 Jahre aufgebaut. Es ist klar, dass die Schweiz das nun auch nicht in zwei Jahren tun kann», sagt Mittemeyer.
Die App steht den Versicherten aller Kassen offen. Wie beim EPD liegt es aber weiterhin an den Versicherten selbst, ob sie die App anwenden wollen. Wie rasch sie sich verbreitet, ist deshalb offen. In Dänemark hat jeder Einwohner, jede Einwohnerin eine persönliche Identifikationsnummer, mit der er oder sie sich einloggen und die Krankendaten einsehen kann.
Neustart des Patientendossiers
Die Compassana-App soll nicht nur die Einsicht in persönliche Gesundheits- und Behandlungsinformationen ermöglichen. Mit der App können beispielsweise Arzttermine vereinbart oder telemedizinische Konsultationen durchgeführt werden. Auch die medizinische Behandlung insbesondere von chronisch Kranken soll besser koordiniert werden können, woran insbesondere die Krankenversicherer interessiert sind, weil dadurch Kosten gespart werden können.
Die Lancierung der Compassana-App erfolgt zu einem Zeitpunkt, in dem der Bundesrat das EPD neu aufgleist. Ziel ist es ebenfalls, das als PDF-Ablage kritisierte Patientendossier zur digitalen Patientenakte weiterzuentwickeln. Der Bundesrat überarbeitet zurzeit die gesetzliche Grundlage. Schluss machen will der Bundesrat mit der Freiwilligkeit des EPD, die wesentlich zur bisher geringen Verbreitung beigetragen hat.
Bis jetzt müssen erst Spitäler und Pflegeheime sowie neu praktizierende Ärztinnen und Ärzte ein EPD führen, sofern die Patientinnen und Patienten dies wollen. Aber auch für diese soll der Besitz eines EPD zur Regel werden, ausser sie lehnen ein solches explizit ab. Dieses Opt-out-Modell zieht der Bundesrat der bisherigen Freiwilligkeit für die Versicherten vor.
Fehler gefunden?Jetzt melden.