Jetzt kann Boris Johnson zeigen, wozu er fähig ist
Theresa May tritt zurück. Gescheitert ist sie, weil sie einen radikalen Volksentscheid radikal umsetzen wollte.
Für Theresa May war die ganze Brexit-Agonie ein Schrecken ohne Ende, so abgedroschen das klingen mag: Dreimal ist sie mit ihrem Deal für den Austritt aus der EU im britischen Parlament angetreten. Dreimal blieb sie chancenlos, und dreimal ist sie krachend gescheitert. Bevor sie es – ohne Erfolgsaussichten – ein viertes Mal versuchen wollte, kommt nun doch noch das Ende, wenigstens für die Premierministerin. Den Briten hingegen bleibt der Schrecken erhalten, denn sie wissen immer noch nicht, wie sie aus der EU austreten wollen, wenn überhaupt.
Mays Rücktritt ist daher kein Befreiungsschlag, sondern das überfällige Eingeständnis, dass sie gescheitert ist. Den wohl entscheidenden Fehler machte die Premierministerin ganz zu Beginn ihrer Amtszeit, als sie von David Cameron die Regierungsverantwortung übernahm. Ihr Vorgänger hatte sich verkalkuliert, als er das Referendum über den Austritt aus der EU ansetzte, das die Briten entgegen aller Prognosen annahmen. Komplett überrumpelt stahl sich Cameron dann aus der Verantwortung.
Umgehend und ohne Not versprach May, das Volks-Ja zum Brexit vom Juni 2016 umzusetzen, und zwar buchstabengetreu. Dabei hätte sie zu Beginn ihrer Amtszeit durchaus die Möglichkeit gehabt, stufenweise ein Vorgehen zum EU-Austritt anzukündigen.
Mit ihrer unflexiblen Haltung hat sich May mögliche Lösungswege verbaut.
So hätte sich zum Abschluss dieses Scheidungsprozesses angeboten, den auszuhandelnden Deal dem Volk zur Genehmigung vorzulegen. Noch besser wäre indes gewesen, wenn bereits David Cameron vor dem Referendum ein solches Prozedere festgelegt hätte. Aber auch Theresa May hatte noch ausreichend Zeit und politischen Spielraum für ein solches Vorgehen.
So oder ähnlich würde das wohl in der Schweiz ablaufen. Aber Grossbritannien ist keine direkte Demokratie, die Briten haben keine Erfahrung mit den damit verbundenen langwierigen, schwierigen und zum Teil mühsamen Prozessen mit Referenden und Initiativen.
Eine direkte Demokratie ist jedoch dynamisch, selbst der Volkswillen kann sich ändern, wie wir wissen, Stichworte dazu sind die Schweizer Abstimmungen zum Frauenstimmrecht, zur UNO oder zur Jura-Frage. Mit ihrer unflexiblen Haltung hat sich May mögliche Lösungswege verbaut.
May ist letztlich gescheitert, weil sie einen radikalen Volksentscheid radikal umsetzen wollte.
Stur in der Brexit-Spur steuerte sie von Anfang an auf einen Abgrund zu, getrieben von den überzeugten, ja fanatischen Brexit-Anhängern in ihrer Partei, den Tories, gebremst von gemässigten Konservativen wie dem ehemaligen Vizepremier Lord Heseltine, für den die Brexit-Hardliner schlicht «den Verstand verloren» haben. Als Folge davon ist das bisher stabile britische Parteiensystem zerrüttet und das Volk gespalten. Populisten wie Nigel Farrage triumphieren, ohne tragfähige Lösungen anzubieten. Dem Godfather des Brexit wird ein grosser Sieg bei den aktuellen Europawahlen vorausgesagt.
May ist letztlich gescheitert, weil sie einen radikalen Volksentscheid radikal umsetzen wollte, aber gleichzeitig einen vernünftigen Kompromiss mit der EU anstrebte, der einen geordneten Austritt aus der Union ermöglichen sollte. Das liess sich nicht vereinen. Deshalb tritt sie nun am 7. Juni ab – nach einem letzten Höhepunkt mit dem Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump. Das hat sich May offenbar ausbedungen.
Die Britinnen und Briten tragen die Konsequenzen
Nun stehen endlich jene Kräfte in der Verantwortung, die den vollständigen Bruch mit Europa wollen, allen voran der umtriebige Blondschopf Boris Johnson. Er war der Gegenspieler von David Cameron und dann auch von Theresa May, er wollte dem Kontinent den Rücken zukehren, und zwar ohne zurückzuschauen. So wäre es interessant zu sehen, ob er als Premier den Realitätstest in Downing Street 10 besteht: Jetzt kann Johnson zeigen, was er kann.
Die Folgen jedoch, und das steht jetzt schon fest, tragen nicht Eton-Sprösslinge wie Cameron und Johnson, sondern die Britinnen und Briten. Egal, ob das Brexit-Drama mit einem Schrecken endet, oder ob der Schrecken dieser Kampfscheidung anhält.
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