Umstrittenes RahmenabkommenMan will sich nächste Woche wieder sehen
Die neue Staatssekretärin Livia Leu war in Brüssel für ihren ersten Austausch zum Rahmenabkommen. Wie gross ist die Flexibilität der EU? Schon nächste Woche könnte es bei einem zweiten Treffen konkret werden.
Ein Anfang ist gemacht: «Wir haben jetzt einen Prozess gestartet», sagte Staatssekretärin Livia Leu nach dem Treffen mit Stephanie Riso, der stellvertretenden Kabinettschefin von Ursula von der Leyen. Zum Inhalt des ersten Austausches zum Rahmenabkommen wollte die Schweizer Chefunterhändlerin nichts sagen. Man werde sich selbstverständlich weiter sehen. Ein nächstes Treffen könnte bereits nächste Woche stattfinden, wie es aus EU-Kreisen hiess. Ob virtuell oder physisch liess Livia Leu offen.
Nach langem Stillstand nun also plötzlich Tempo. Ging es am Donnerstag nur um die Klarstellungen beim Lohnschutz, der Unionsbürgerrichtlinie und den Staatsbeihilfen, wie sie der Bundesrat offiziell fordert? Oder war die Rolle des Europäischen Gerichtshofes auch ein Thema, wie es immer mehr Kräfte in der Schweiz verlangen. «Über Substanz kann ich im Moment nichts sagen», erklärte die Staatssekretärin, bevor sie in die wartende Limousine des Schweizer Botschafters in Brüssel stieg. «Ich begrüsse es, dass die Schweiz den Gesprächsfaden wieder aufgenommen hat», sagte der EU-Abgeordnete Andreas Schwab, Vorsitzender des für die Schweiz zuständigen Ausschusses. Bei einem nächsten Treffen müssten die beiden Seiten aber rasch über konkrete Textentwürfe für die Präzisierungen reden. Möglicherweise wird die EU selber Vorschläge machen, sollte Bern nicht liefern.
Alleine beim Termin
Livia Leu hat am Donnerstagvormittag immerhin knapp zweieinhalb Stunden am Hauptsitz der EU-Kommission verbracht. Sie war alleine zu dem Termin erschienen, was eher ungewöhnlich ist. Das dürfte zumindest bestätigen, dass es tatsächlich nur um einen ersten persönlichen Austausch ging. Bei Verhandlungen über Zusatzerklärungen oder gar Änderungen am Vertrag hätte die Staatssekretärin sicher ein ganzes Team mit Experten mitgebracht.
«Diese Begegnung war eine Kontaktaufnahme, eine erste Diskussion», gab sich auch Eric Mamer zurückhaltend, Chefsprecher von Ursula von der Leyen. Die Position der Kommission sei bekannt: «Wir erwarten von der Schweiz, dass sie Fortschritte macht bei der Unterzeichnung und der Ratifizierung des Abkommens». Also keine Anzeichen von Flexibilität. Im Streit um das richtige Format war es seit November zuerst nicht möglich gewesen, einen Termin zu finden. Livia Leu pochte für ihren Antrittsbesuch auf ein physisches Treffen. Die EU-Seite wollte zuerst wegen der Coronakrise nur für einen Austausch per Videokonferenz Hand bieten. Tatsächlich finden derzeit fast alle internationalen Kontakte mit Rücksicht auf die Pandemie und die Ansteckungsgefahr virtuell steht. Hinzu kommt, dass die Gesprächspartner in Brüssel zum Jahreswechsel andere Prioritäten hatten. Brüssel war mit dem Streit um den EU-Haushalt, dem Corona-Wiederaufbaufonds und dem Brexit mehr als ausgelastet.
Beim Brexit spielt Stephanie Riso eine Schlüsselrolle an der Seite von Michel Barnier, dem Chefunterhändler der EU mit den Briten. Nun ist das Handelsabkommen mit London unter Dach und ein Slot für Staatssekretärin Livia Leu wurde frei. Wobei man in Brüssel die Schweizerin wohl mit Absicht hat etwas zappeln liess. Es geht hier auch um Machtspiele. Die Schweiz habe es bisher auch nicht sehr eilig gehabt, heisst es in EU-Kreisen. Aus der Sicht der EU ist das Rahmenabkommen eigentlich seit Ende 2018 fertig ausverhandelt und unterschriftsreif. Im Sommer 2019 schickte der damalige Bundespräsident Ueli Maurer im Namen der Regierung einen Brief nach Brüssel und verlangte Präzisierungen beim Lohnschutz, der Unionsbürgerrichtlinie sowie den Staatsbeihilfen.
Offen für Präzisierungen
Der damalige Kommissionschef Jean-Claude Juncker zeigte sich für Präzisierungen in den drei Bereichen offen und bat die Schweiz um konkrete Textvorschläge. Auf diese wartet man nun in Brüssel seit eineinhalb Jahren. In der Schweiz hat sich die Diskussion allerdings inzwischen weiter gedreht und grosse Teile des politischen Spektrums stellen nun auch die Substanz des Abkommens in Frage, von der Streitschlichtung mit der Rolle für den Europäischen Gerichtshof bis hin zur dynamischen Rechtsübernahme. Hinter dem Streit um das physische oder virtuelle Format für das Treffen verstecken sich deshalb auch tiefgreifende Inhaltliche Differenzen.
Klarstellungen oder Zusatzerklärungen könnten wohl einfach per Videokonferenz besprochen und bereinigt werden. Wenn jedoch Nachverhandlungen das Ziel sind, braucht es selbstverständlich ein physisches Treffen. Staatssekretärin Livia Leu dürfte am Sitz der EU-Kommission sondieren haben, wie hier die Chancen sind und ob es in Brüssel nicht doch Flexibilität gibt. Schliesslich kommt der Deal mit den Briten auch ohne Rolle für den EuGH aus. Stephanie Riso dürfte hier keine einfache Gesprächspartnerin sein. Als langjähriges Mitglied im Team von Brexit-Chefunterhändler Barnier kennt sie das Freihandelsabkommen der EU mit Grossbritannien bis ins letzte Detail. Aus Sicht der EU ist der Brexit-Deal nicht vergleichbar mit den bilateralen Abkommen, die der Schweiz in Schlüsselbereichen einen privilegierten Zugang zum Binnenmarkt gewähren.
Hochspannung beim Tête à Tête
Beim Tête à Tête zwischen Livia Leu und Stephanie Riso dürfte jedenfalls Hochspannung geherrscht haben. Die beiden Frauen setzten sich mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen an den Tisch. Eigentlich hätte man in Brüssel aus Bern im Vorfeld gerne schriftliche Unterlagen bekommen, um sich auf das Treffen und die Stossrichtung der Schweizer einstimmen zu können. Ein Wunsch, dem die Schweizer Chefunterhändlerin nicht nachgekommen ist. Livia Leu wollte wohl nicht alle Karten sofort auf den Tisch legen.
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