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Neuer Präsident
Ein Sieg der Wut: Wohin führt Javier Milei Argentinien?

Argentine presidential candidate for the La Libertad Avanza alliance Javier Milei (L) celebrates with his sister Karina Milei after winning the presidential election runoff at his party headquarters in Buenos Aires on November 19, 2023. Libertarian outsider Javier Milei pulled off a massive upset Sunday with a resounding win in Argentina's presidential election, a stinging rebuke of the traditional parties that have overseen decades of economic decline. (Photo by Luis ROBAYO / AFP)
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Am Ende hat die Wut über die Angst gesiegt: Javier Milei hat in Argentinien die Stichwahl für das Präsidentenamt gewonnen. Nach Auszählung von 99 Prozent der Wahlzettel hat der rechtslibertäre Kandidat am Sonntag knapp 56 Prozent der gültigen Stimmen bekommen. Sein Gegenkandidat, der Linksperonist Sergio Massa, unterliegt dagegen mit 44 Prozent. (Lesen Sie unser Porträt über Javier Milei: Er will Argentinien mit der Kettensäge zerlegen)

Noch am Abend wandte sich Javier Milei an seine jubelnden Anhänger. Die Situation in Argentinien sei kritisch, sagte er, darum seien drastische Massnahmen notwendig. Der 53-Jährige versprach, das Land wieder zu der Weltmacht zu machen, die es einst einmal gewesen sei: «Es lebe die Freiheit – und Gott behüte Argentinien!»

Schon im Vorfeld galt die Wahl als die wichtigste in der jüngeren Geschichte des Landes. Nun aber, nach dem Sieg von Milei, ist die Frage, wie es weitergehen wird mit Südamerikas zweitgrösster Volkswirtschaft und drittgrösster Demokratie. (Reportage über das Land vor der Wahl: Per Zug durch Argentinien – solange das noch geht)

Politiker bezeichnete er als «Untermenschen»

Javier Milei bezeichnet sich selbst als «Anarchokapitalisten» und als einen Anhänger des Wirtschaftslibertarismus: Der Staat, glaubt er, müsse so weit es geht zugunsten des Marktes zurückdrängt werden. Lange war der 53-jährige Ökonom den meisten Argentiniern höchstens als Gast aus Talkshows bekannt. Er setzte sich lautstark für einen freien Zugang zu Schusswaffen ein oder lobte die Vorteile des Organhandels. Politiker bezeichnete er als «Untermenschen», den Papst, selbst ein Argentinier, beschimpfte er als «lausigen Linken», und im Staat sieht er eine «kriminelle Organisation».

Vor zwei Jahren zog Milei dann für eine Kleinstpartei ins Parlament ein: La Libertad Avanza, zu Deutsch so viel wie «Die Freiheit schreitet voran». Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie der monatlichen Verlosung seines Abgeordnetengehalts zog er viel Aufmerksamkeit auf sich. Im Präsidentschaftswahlkampf versprach Milei, den in seinen Augen ausufernden Staat auf ein Minimum zu reduzieren. Dazu soll die Landeswährung Peso auch noch vollständig durch den US-Dollar ersetzt werden, um so die mittlerweile dreistellige Inflation in den Griff zu bekommen.

Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage erhielt Milei für seine Vorschläge viel Zuspruch. Gleichzeitig aber gab es zunehmend auch erbitterten Widerstand.

Milei hat immer wieder die Zahl der Opfer der Diktatur angezweifelt.

Argentinien ist eines der politisch progressivsten Länder der gesamten Region. Gerade einmal 40 Jahre sind vergangen seit dem Ende der letzten Militärdiktatur. Tausende Regimegegner wurden damals entführt, gefoltert, ermordet und in anonymen Massengräbern verscharrt. In den vergangenen Jahrzehnten hat das Land viel Energie in die Aufarbeitung dieser Verbrechen gesteckt. Expertenteams suchen nach Leichen, Täter wurden vor Gericht gestellt und zu langen Haftstrafen verurteilt.

International hat dies Argentinien viel Lob eingebracht, und nun fürchten manche, dass diese Fortschritte zunichtegemacht werden könnten: Milei selbst hat immer wieder die Zahl der Opfer der Diktatur angezweifelt, und seine zukünftige Vizepräsidentin, Victoria Villaruel, gilt als prominenteste Stimme jener im Land, die in den Entführungen, der Folter und den Morden durch die Junta eine legitime Antwort der Diktatur auf Terror durch linke Guerillas sehen. Menschenrechtsverbände warnten darum vor einem Sieg Mileis.

Er will den Peso abschaffen

Gleichzeitig gab es in Teilen der Bevölkerung auch die Frage, welche Folgen die radikalen Reformpläne des rechtslibertären Kandidaten für die ohnehin schwer angeschlagene Wirtschaft des Landes haben könnten. So ist eines von Mileis zentralen Versprechen die Abschaffung des Landeswährung Peso und die Einführung des US-Dollar. Wie diese aber genau vonstattengehen soll, ist vollkommen unklar.

Argentine presidential candidate for the La Libertad Avanza alliance Javier Milei (L) celebrates with his girlfriend Fatima Florez after winning the presidential election runoff outside his party headquarters in Buenos Aires on November 19, 2023. Libertarian outsider Javier Milei pulled off a massive upset Sunday with a resounding win in Argentina's presidential election, a stinging rebuke of the traditional parties that have overseen decades of economic decline. (Photo by Emiliano Lasalvia / AFP)

Dass Milei am Ende trotz all dieser Ängste und Bedenken die Wahl gewonnen hat, liegt zum einen daran, dass er in den Wochen vor der Stichwahl seine radikale Rhetorik abgeschwächt hat und sich die Unterstützung von in der ersten Wahlrunde unterlegenen konservativen Kräften sichern konnte.

Ausschlaggebend für den Sieg dürfte am Ende aber vor allem auch die Wut vieler Menschen im Land auf die linksperonistische Regierung gewesen sein: Ihr Kandidat Sergio Massa ist der amtierende Wirtschaftsminister Argentiniens. Viele Menschen geben ihm die Schuld für die katastrophale ökonomische Lage im Land. Dazu gab es in den vergangenen Jahren und Monaten eine ganze Reihe von Skandalen um Korruption und Vetternwirtschaft.

Die Erwartungen an die neue Regierung sind riesig, ebenso die Aufgaben, die vor ihr liegen.

Für die Linksperonisten ist das Wahlergebnis eine bittere Niederlage. Sergio Massa sprach am Sonntagabend von einem schwierigen Wahlkampf und räumte eine Niederlage noch vor Bekanntwerden der offiziellen Ergebnisse ein. Es sei nicht das, was er erhofft und erwartet habe: «Die Argentinier haben einen anderen Weg gewählt.» Noch während er sprach, waren in den Strassen von Buenos Aires Freudenschreie zu hören, ebenso wie andere, die ihrer Wut über die Niederlage Luft machten.

Supporters of the Argentine presidential candidate for the La Libertad Avanza alliance, Javier Milei, celebrate his victory in the presidential election runoff at the Obelisk in Buenos Aires on November 19, 2023. Libertarian outsider Javier Milei pulled off a massive upset Sunday with a resounding win in Argentina's presidential election, a stinging rebuke of the traditional parties that have overseen decades of economic decline. (Photo by ALEJANDRO PAGNI / AFP)

Die Erwartungen an die neue Regierung sind riesig, ebenso aber auch die Aufgaben, die vor ihr liegen: Der argentinische Staat ist hoch verschuldet, grosse Teile der Bevölkerung verarmt und die Gesellschaft tief gespalten. Im Parlament, aber auch auf Ebene der Lokalregierungen wird Milei erbitterter Widerstand aus der Opposition entgegenschlagen.

Dazu gibt es in Argentinien auch traditionell extrem starke Gewerkschaften und gut organisierte Sozialverbände, die versuchen werden, sich Privatisierungsplänen und Sparmassnahmen entgegenzustellen, mit Demonstrationen, mit Streiks oder Strassensperren.

Am Sonntagabend jubelten die Anhänger von Javier Milei auf den Strassen von Buenos Aires. Am 10. Dezember wird die neue Regierung ihr Amt antreten. Wie lange die Feierlaune dann anhält, wird sich zeigen.