GastbeitragMilei ist Rechtspopulist – aber er ist kein Trump
In Argentinien könnte der Rechte Javier Milei die Präsidentschaftswahl gewinnen. Das negative Medienbild über ihn wird der Realität zu wenig gerecht.
Javier Milei hat es für viele überraschend in die Stichwahl der argentinischen Präsidentschaftswahlen geschafft. Am 19. November soll sich nun endgültig entscheiden, ob der Rechtspopulist oder der alteingesessene Peronist und heutige Wirtschaftsminister Sergio Massa einen Sieg davonträgt. (Die Peronisten sind die argentinische Linke.)
Der Name Javier Milei fällt oft im gleichen Atemzug mit Donald Trump und Jair Bolsonaro. Zweifelsohne können seine ultraliberalen Wirtschaftsansichten, gepaart mit einem soliden Neokonservatismus, als – euphemistisch gesprochen – unkonventionell bezeichnet werden. In seinem rechtspopulistischen Kampf gegen die «politische Kaste» gehören auch eine Neulancierung der Abtreibungsdebatte und die Leugnung des Klimawandels zum Repertoire.
Auch wenn von diesem Gedankengut Gefahr ausgehen mag, werden die spezifischen Umstände in Argentinien, die überhaupt zum «Phänomen Milei» geführt haben, jedoch oft verkannt. Argentinien hat in den letzten Jahrzehnten eine Transformation hin zu einem autoritären Linkspopulismus erlebt, was die Grundbedingungen einer liberalen Demokratie bereits seit einiger Zeit infrage stellt.
Anders als Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro verurteilt Milei jegliche Form der Diktatur.
Die Regierung von Cristina Kirchner (2007–2015) hatte beispielsweise unzählige Versuche unternommen, den obersten Gerichtshof den Exekutiven zu unterstellen. Es gab Vorstösse gegen die Presse, und schliesslich infiltrierte der linkspopulistische «Kirchnerismus» sämtliche Institutionen, darunter Universitäten, Gewerkschaften und auch den nationalen Forschungsrat.
Somit wäre Milei, sollte er erfolgreich sein, höchstens ein weiterer Populist, der auf einen bereits eingesessenen und tiefer greifenden Populismus folgen würde.
Auch hegt Milei bis dato keine Absichten, rechtsstaatliche Strukturen wie Verfassung oder Justiz zu reformieren, ganz im Gegensatz zu programmatischen Rechtspopulisten, wie wir sie auch in Europa kennen. Anders als der oft zitierte Bolsonaro verurteilt Milei jegliche Form der Diktatur, wozu auch die Militärdiktatur in Argentinien zählt.
Im TV verbreitet Milei Unsinn, doch hinter den Kulissen arbeiten seine Fachexperten seriöse Reformvorschläge aus.
Einen explizit misogynen Diskurs führte er im Gegensatz zu Trump nie, auch wenn er die «Political Correctness» ablehnt. Mileis Populismus bewegt sich also vorwiegend auf einer diskursiven Ebene. Das Feindbild, das der Präsidentschaftsbewerber konstruiert, wendet sich alleinig gegen die «Kaste», die parteiübergreifende, eingesessene und korrupte politische Elite Argentiniens. Diese «Kaste» steht aber schon seit Jahren in der Kritik, erfunden wurde sie von Milei nicht.
Zu guter Letzt kann auch davon ausgegangen werden, dass Milei seinen populistischen Diskurs als Wahlstrategie nutzt, wobei er unterschiedliche Botschaften für verschiedene Wählergruppen bereithält. In Fernsehsendungen verbreitet er unverhohlen Unsinn (das meiste, was anschliessend in der Presse kolportiert wird), doch gleichzeitig arbeitet ein Team von Fachexperten seriöse Reformvorschläge hinter den Kulissen aus.
Es wird ebenfalls gemunkelt, dass er sogar eine Koalition mit den Peronisten in Betracht zieht, sollten diese seinen Reformplänen für die Wirtschaft zustimmen. Dies liesse vermuten, dass ein Regierungswechsel einen weniger tiefen Einschnitt bedeuten würde, als es der derzeitige Diskurs suggeriert.
Felicitas Holzer ist Philosophin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich. Sie hat lange Zeit in Argentinien gelebt. Julio Montero ist als politischer Berater tätig und lehrt an der Universidad de Buenos Aires.
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