Existenznöte in VenedigItaliens ältestem Caffè droht das Aus
Das Kaffeehaus Florian in Venedig, gegründet 1720, hat alles überstanden: Kriege, Revolutionen, Hochwasser. Nun steht es wegen Corona vor der Schliessung. Auch weil der Staat es im Stich lässt.
Die Terrassen sind leer, die Stühle der Kaffeehäuser zu hohen Türmen gestapelt. Am Markusplatz in Venedig ziehen sie Bilanz eines desolaten Geschäftsjahres, wie es selbst virulenteste Gegner des Massentourismus der Stadt nicht gewünscht haben können. Corona bedroht scheinbar unvergängliche Institutionen am Platz, auch solche, die immer verwöhnt gewesen waren vom prächtigen Standort und ihrem globalen Renommee, eine für alle: das Caffè Florian, gegründet am 29. Dezember 1720. Kein Krieg, keine Seuche, kein Hochwasser hatte je seinen Betrieb unterbrochen, geschweige denn bedroht. «Wenn das so weitergeht», sagte Chef Marco Paolini der Zeitung «Corriere del Veneto», «dann machen wir ganz zu: Piazza San Marco ist tot.»
Dreihundert Jahre. Die italienische Post hatte zum grossen Geburtstag eine Sonderbriefmarke gedruckt: Tarif B, 1,10 Euro. Man sieht darauf das Fenster der Sala del Senato des Florian, der Dogenpalast spiegelt sich darin. Vorgesehen war auch ein grosses Fest, es gab ja allen Grund dazu. Mehr als acht Millionen Euro hatte man zuletzt im Jahr umgesetzt, mit siebzig festen Angestellten. Vor allem Gäste von weither, aus Japan, China, Amerika, aus den Arabischen Emiraten, gaben gerne etwas mehr aus, um von weiss livrierten Kellnern mit Silbertablett bedient zu werden.
Das war vor der Pandemie. Das Geburtstagsfest fiel aus, die ganze Belegschaft ist auf Kurzarbeit. Paolini sagt: «Noch leben wir, aber in Agonie.»
Das Florian eröffnete an jenem Jahresende 1720 einige Tage später als eigentlich geplant – wegen bürokratischer Komplikationen, damals schon. Das war nicht unwesentlich, denn der Karneval begann schon im Dezember, und Karneval ist nun mal hohe Zeit fürs Geschäft. Venedig war noch eine Republik, eine Serenissima, und so trug das neue Kaffeehaus an der schönsten Piazza der Stadt auch einen hochtrabenden Namen: «Alla Venezia Trionfante», Zum Triumphierenden Venedig. Die Venezianer aber sagten immer schon Florian zu ihm, mit venezianischer Betonung auf dem a, weil der Besitzer Floriano hiess – Floriano Francesconi, ein Unternehmer. Nach seinem Tod wurde es umbenannt.
Viele Caffès gab es noch nicht, dieses «schwarze Getränk» sollte sich seinen Erfolg erst erstreiten müssen. Das Florian hatte sich in den Neuen Prokuratien eingemietet, den Palazzi der venezianischen Baubehörde. Zunächst waren es nur zwei Räume, später sollten sie um die Sala Cinese, die Sala del Senato und die Sala Orientale erweitert werden. Alle opulent ausgestattet mit schweren Gemälden, goldenen Bordüren, Spiegeln, Marmor, samtbezogenen Sofas.
Die Serenissima mochte verweht sein, die Republik gefallen, doch dem Lokal konnten die Wirren des Weltenlaufs nichts anhaben. Natürlich war es nicht das einzige Haus mit Strahlkraft am Platz, aber eben das älteste. Die Fassade zur Piazza hin wurde über die Jahrhunderte nur sehr sanft renoviert. Der Schriftzug des Florian? Wie hinübergerettet aus der Halbantike. Die Italiener sind Meister im behutsamen Renovieren, Gesetzgeber und Behörden sorgen schon dafür: Man verneigt sich eben vor der eigenen Geschichte.
Alle waren da, Goethe und Dickens, Rousseau und Proust
Alle Prominenz, die nach Venedig kam, schaute im Florian vorbei, Goethe und Dickens, Casanova und Byron, Rousseau und Proust. Charlie Chaplin, Ernest Hemingway, Jean Cocteau, Clark Gable, Andy Warhol. Und Politiker, viele Politiker. Zunächst waren es vor allem Männer, im 20. Jahrhundert änderten sich dann aber zum Glück die Gepflogenheiten. Im Florian soll Riccardo Selvatico, dem damaligen Bürgermeister und Dichter, die Idee gekommen sein, alle paar Jahre die ganze Kunstwelt nach Venedig zu holen. Das war 1895. Der Keim der Biennalen, er liegt im Caffè, und allein das sollte dem Lokal mindestens ewiges Leben bescheren.
«Wir werden bestraft für unseren früheren Erfolg.»
Doch ausgerechnet die Sturheit des italienischen Staates drängt das Florian nun in Existenznöte. Die Betreiber zahlen im Jahr 710’000 Euro Miete, davon 210’000 an den Staat. Die privaten Vermieter, sagt Paolini, seien grossherzig gewesen und hätten die fälligen Beträge reduziert. Die Agenzia del Demanio aber, die staatliche Immobilienagentur, beharrt auf den Summen aus dem Mietvertrag. Unglücklich ist auch, dass das Florian für seine Beliebtheit bezahlt: Weil es 2019 mehr als fünf Millionen Euro verdient hatte, steht ihm eine Reihe von Zuschüssen wegen der Pandemie gar nicht erst zu. Das sei absurd, sagt Paolini. «Wir werden bestraft für unseren früheren Erfolg.»
Für das ablaufende Jahr rechnet er nun mit einem Verlust von 6,5 Millionen Euro. Darin sind auch die Schäden vom Rekordhochwasser 2019 inbegriffen, Hunderttausende, es fehlt auch das Geld für Reparaturen. Die Banken helfen, die Gesellschafter bringen Eigenmittel ein. Und das Onlinegeschäft mit Schokolade, Tee und Parfüms macht ein bisschen etwas wett. Aber das reicht nicht fürs Überleben, jedenfalls nicht auf Dauer, dafür bräuchte es den Staat. «Wenn wir zumachen», sagt Paolini, «verschwindet nicht nur ein Caffè, es schliesst sich auch ein Kapitel der europäischen Kulturgeschichte.» Dreihundert Jahre.
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