Ermittlungen gegen 60 PersonenDatenklau bei Geheimdiensten und gekaufte Polizisten – «Wir können ganz Italien blossstellen», sagt ein Hacker
Kriminelle haben in Italien Hunderttausende sensible Informationen gestohlen: Steuer-, Gesundheits- und Meldedaten. Sie hatten offenbar Helfer bei der Polizei.
![Rome, Italy - May 27, 2018: Palazzo del Viminale palace, Ministry of Interior headquarter at Piazza Viminale square in Quirinale quarter of historic Rome city center](https://cdn.unitycms.io/images/CCMmfGF3KyE8VrQsLv8Q4Y.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=Jq9_dGxMCoI)
- Hacker haben im Auftrag einer kriminellen Firma italienische Datenbanken geplündert.
- 52’000-mal brachen sie in das Innenministeriumssystem ein.
- Giorgia Meloni fordert nun eine umfassende Aufklärung.
- Die Daten wurden auf dem Schwarzmarkt in grosser Zahl verkauft.
Die Eindringlinge kamen und gingen offenbar nach Belieben, wie Einbrecher, die ein Goldlager mit stets offener Hintertür entdecken. Nur taten sie es in der digitalen Welt: Hacker haben im Auftrag einer italienischen Firma staatliche und Firmen-Datenbanken geplündert, deren Inhalt Gold wert ist. Sie kamen an sensibelste, geschützte Informationen auf staatlichen Servern. 52’000-mal drangen die Diebe in die Datenbank des italienischen Innenministeriums ein, griffen auf die Ermittlungsdatenbank SID der italienischen Polizei- und Sicherheitsbehörden zu.
Von da gelangten sie in Melderegister, Systeme von Steuerfahndung, von Finanzämtern und wohl auch von Gesundheitsbehörden. Selbst Daten des Auslandsgeheimdienstes Aise fanden die Ermittler bei Durchsuchungen. Auch die E-Mail-Adresse des Staatspräsidenten soll missbraucht worden sein.
Die Kriminellen hatten Helfende bei der Polizei
Das ist das Szenario, das der Mailänder Oberstaatsanwalt Marcello Viola und der Chef von Italiens Anti-Mafia- und Anti-Terrorismus-Staatsanwaltschaft, Giovanni Melillo, beschreiben. Organisierte Datenkriminalität im ganz grossen Stil und mit Potenzial, Teile des Staatsapparats zu erschüttern.
Nicht nur, weil es wohl Sicherheitslücken gab, die vertrauliche Daten von Millionen Bürgern betreffen, sondern weil die Kriminellen Helfer hatten bei Polizei, Carabinieri und anderen Behörden. «Die Demokratie ist in Gefahr», sagte einer der Ermittlungsrichter.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni forderte eine gründliche Aufklärung, kein Staat könne so etwas hinnehmen. Es handle sich «im besten Fall um ein System der Erpressung». «Im schlimmsten Fall haben wir es hier mit einem gesellschaftlichen Umsturz zu tun», sagte Meloni, die wie ihre Schwester schon Opfer von Hackern wurde.
Ermittler hörten die Täter am Telefon ab
Zu den im Mailänder Fall illegal Ausgespähten gehören der Präsident des italienischen Senats, Ignazio La Russa, Ex-Premier Matteo Renzi, Mailands Ex-Bürgermeisterin, Bankchefs und wichtige Unternehmer, Journalisten und Prominente. Die Akteure fühlten sich sehr sicher: «Wir können ganz Italien blossstellen», sagte einer in einem von den Ermittlern abgehörten Telefonat.
Unweit des Mailänder Doms liegt die Zentrale der Firma, die Ermittler im Fokus haben. Sie soll agiert haben wie eine kriminelle Bande mit bester technischer Ausstattung. Das Geschäft von Equalize war Informationsbeschaffung. Die ist legal, solange allgemein zugängliche Quellen genutzt werden, Spezialdatenbanken oder private Ermittler. Spätestens ab 2022 nutzte Equalize illegale Wege.
![Italy's Prime Minister Giorgia Meloni waits for the arrival of Qatar's Emir Sheikh Tamim bin Hamad al-Thani prior their meeting at Villa Doria Pamphilj in Rome on October 21, 2024. (Photo by Tiziana FABI / AFP)](https://cdn.unitycms.io/images/CyQqA5An4H1BO2-zKN7A2j.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=5GPnC4Zz6cc)
Equalize sammelte dabei Informationen, um sie zu verkaufen – Dinge, die Leute unter Druck setzen können. Dafür sollen sie auch in Handy-Chats eingebrochen sein. Auch einigen Auftraggebern droht nun Ärger mit der Justiz.
Vor allem sei es den Tätern um Geld gegangen, rund drei Millionen Euro hätten sie auf dem Daten-Schwarzmarkt verdient. Vorwürfe der Staatsanwälte sind etwa: verbotene Abhöraktionen, Verletzung von Amtsgeheimnissen. Gegen 60 Leute wird ermittelt, sechs stehen unter Hausarrest.
Informationen gegen eine ehemalige Bürgermeisterin gesammelt
Der Besitzer von Equalize ist kein Unbekannter in Mailand. Enrico Pazzali ist Präsident der Stiftung Messe Mailand, gegen die nicht ermittelt wird. Pazzali liess den Ermittlern zufolge auch mit politischem Motiv Dossiers anlegen. Etwa vom Umfeld der früheren Bürgermeisterin Mailands. Ein rechter Kandidat soll Ambitionen gehabt haben, Bürgermeister von Mailand zu werden.
Zentral ist der verhaftete Equalize-Geschäftsführer Carmine Gallo. Auch er hatte sich einen Namen gemacht – auf der anderen Seite des Gesetzes. Er wurde in den 90er-Jahren bekannt als «Superpolizist», leitete erfolgreiche Operationen gegen die ’Ndrangheta in der Lombardei, die kalabrische Mafia. Nun gilt er als Leiter der illegalen Aktionen, unternahm selbst Abhöraktionen.
Die illegalen Datenmengen sind enorm, ein Festgenommener sprach von sechs, sieben Millionen USB-Sticks. 800’000 Dateien eigneten sich die Täter aus dem Polizei-Ermittlungssystem an. Sie liessen Trojaner auf die Computer von Beamten spielen. Einige von ihnen liessen sich selbst kaufen.
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