Kolumne «Miniatur des Alltags»Ist mein Velo sexistisch?
Unser Autor hat ein Fahrrad gekauft – für Frauen. Denn es ist blau. Alles unklar?
Vor drei Monaten haben ein paar hinterhältige Tunichtgute mein Velo geklaut. Mein mit einem teuren Schloss abgeschlossenes Velo. Aus dem Velokeller. Eine ziemlich unlustige Angelegenheit. Denn ich mochte mein Rad. Ich bin zwar kein Bikefreak, aber auf meinem Drahtesel hatte ich trotzdem über drei Jahre hinweg mehrere Tausend Kilometer abgespult.
Glücklicherweise hatte die Versicherung schnell gezahlt. Und so pilgerte ich neulich zum Fahrradhändler meines Vertrauens, um ein neues Stahl- (bzw. Karbon-)ross zu erstehen. Der Velospezialist erläuterte mir die verschiedenen Möglichkeiten in meinem Preissegment. Er zeigte mir ein graues Rad. Und dann ein schwarzes Rad. Mir gefiel aber vor allem das blaue Rad. Der Verkäufer schmunzelte. Das sei ein Damenrad, klärte er mich auf.
Ich war baff. Abgesehen von der Farbe sah man dem Velo eines deutschen Herstellers überhaupt nicht an, dass es offenbar zur Frauenkollektion gehörte. Der Rahmen hat die exakt selbe Geometrie wie das Männermodell. Der einzige Unterschied war die Farbe. Grau, schwarz oder rot für die Männer – Blau mit ein wenig Glitzerfinish für die Frauen. «Es gibt vom Modell her wirklich keinen Unterschied zwischen den Rädern», bestätigte auch der Händler. Sie vertragen auch gleich viel Gewicht. Das Modell ist für maximal 115 Kilo ausgelegt – egal, ob diese 115 Kilo zu einem Mann, einer Frau oder einer nicht binären Person gehören.
Also habe ich ein Damenrad gekauft. Aber: Warum zum Geier verkauft ein (guter!) Bikehersteller im Jahr 2022 noch immer zwei verschiedene Versionen eines Fahrrads, die sich aber abgesehen von der Farbe überhaupt nicht unterscheiden? Darf ich als Mann keinen Spass haben an einem blauen Rad? Ist Schwarz zu dunkel für eine Frau oder Rot zu aggressiv? Wie männlich hat ein Männerrad zu sein? Oder die Person, die damit fährt? Muss ich als Mann statt einer Trinkflasche einen Flachmann mit Bourbon an mein Zweirad hängen und ein selbst erlegtes Reh durch die Gegend schleifen? Müsste meine Frau in der Sattelbox Lippenstift hinterlegen? Ist mein Velo sexistisch?
Wenn es tatsächlich einen geometrischen Unterschied gäbe, zum Beispiel eine andere Distanz zwischen Sattel und Lenker, könnte man ja noch darüber diskutieren. Aber so ist das Ganze nichts anderes als überholtes Marketing.
Fehler gefunden?Jetzt melden.