Lesende fragen Peter SchneiderIst es sinnvoll, Nazivergleiche anzustellen?
Mike Müller hat Ausschreitungen bei einer linksradikalen Demonstration in Zürich mit der «Reichskristallnacht» in Verbindung gebracht. Darf man das? Unser Autor antwortet.
Mike Müller ist ein cooler Typ. Ich habe mich umso mehr geärgert, als er Ausschreitungen während einer linksradikalen Demo mit der «Reichskristallnacht» in Verbindung gebracht hat. Selbstverständlich ist es idiotisch, Krawall zu machen, doch ist das beileibe nicht mit den Novemberpogromen von 1938 zu vergleichen. Was halten Sie von «Nazivergleichen»? H.S.
Lieber Herr S.
Ist jeder Baseballschläger immer auch eine Nazikeule? Ich muss gestehen, mir geht die ritualisierte Empörung nach einem Nazivergleich manchmal genauso auf den Senkel wie der Nazivergleich selbst.
Erstens ist es nur sinnvoll, zwei Sachen miteinander zu vergleichen, die nicht gleich sind. Zwischen zwei verschiedenen Sachen gibt es (mindestens) ein Gemeinsames. Von diesem tertium comparationis behauptet man nicht, dass es jeweils beim Verglichenen identisch, sondern nur, dass es ähnlich ist. Über diese Ähnlichkeit kann man streiten.
Der von Ihnen angesprochene Vergleich Mike Müllers scheint mir falsch. Ich hätte ihn nicht gemacht; aber in den Sinn gekommen ist er mir auch. Er sollte offenkundig nicht die Opfer des Novemberpogroms von 1938 verhöhnen, sondern unterstellte polemisch den vermummten Schlägerinnen und Schlägern, dass sie vielleicht auch beim linken Strasser-Flügel der NSDAP hätten mitmachen können, wenn es gegen das «jüdische Finanz- und Grosskapital» und die Gentrifizierung durch Kaufhäuser wie Wertheim oder Tietz gegangen wäre. (Schön, wenn nicht.)
Ich wüsste als Linker nicht, womit ich mich mit rituellem Sprayen («Only a dead cop is a good cop») solidarisieren sollte.
Zweitens: Wenn die Empörung über den Vergleich aus Mündern von Leuten kommt, bei denen ohnehin das meiste, was ihnen (auch zu Recht) nicht passt, «nazi» ist, kann ich darauf ohnehin nur mit einem fröhlichen «fuck you» antworten. Ich wüsste als Linker nicht, womit ich mich am rituellen Sprayen («Every dead cop is a good cop») und dem Zertrümmern von Scheiben (zum Beispiel eines Uhrengeschäfts) solidarisieren sollte.
Drittens verstehe ich auch die rechtfertigende Bagatellisierung nicht, dass «die Bürgerlichen» sich über ein paar kaputte Scheiben aufregen, XY (hier bitte einen weit grösseren Missstand einsetzen) aber hinnehmen. Mit demselben Argument kann man auch für Kürzungen bei der Sozialhilfe in der Schweiz rechtfertigen, weil es woanders noch viel ärmere Menschen gibt.
Viertens noch ein letztes Naziding: Wenn beispielsweise ein jüdischer Journalist eines Schweizer Magazins kleine Hakenkreuze als Korrekturzeichen einsetzt, mit denen er die Germanismen einer deutschen Kollegin markiert, dann ist das keine feine Art und ein entgleister Scherz, aber nichts, zu dem man empört den deutschen Antisemitismusbeauftragten befragen müsste, was davon zu halten ist. (Wenn, dann geht es hier einzig um ein durchbrechendes anti-deutsches Ressentiment).
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.
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