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600 Millionen für CO₂-Filter
Ist das eine Lösung – CO₂ aus der Luft zu entfernen?

Kollektoren der Anlage Orca von Climeworks in Island. Hier wird aus der angesaugten Umgebungsluft CO₂ gefiltert.
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Der Weltklimarat IPCC hat gute Werbung für die – noch – wenigen Unternehmen weltweit gemacht, die CO₂ aus der Atmosphäre entfernen. Eine Erkenntnis in seinem neuen Klimabericht ist: Ohne diese Technologie wird eine klimaneutrale Gesellschaft bis 2050 kaum möglich sein. Je länger die globalen Treibhausgas-Emissionen ansteigen, desto schwieriger wird es, eine Erwärmung der Erde um 1,5 Grad zu verhindern. 

Im Grunde ist der Zug bereits abgefahren. Der IPCC hat schon in einem Report im letzten Sommer aufgezeigt, dass in fast allen Szenarien die 1,5-Grad-Grenze bereits in den frühen 2030er-Jahren erreicht wird. Die Klimaziele des Pariser Abkommens wären dann nur noch erreichbar mithilfe technischer Methoden wie zum Beispiel der direkten Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre. Die Fachleute sprechen von negativen Emissionen. 

Zu den Pionieren dieser Technologie gehört die Schweizer Firma Climeworks. Just einen Tag nach der Veröffentlichung des IPCC-Berichts verkündete die Firma diese Woche einen neuen bevorstehenden Wachstumsschub. Der Grund: Das Unternehmen konnte in einer neuen Finanzierungsrunde 600 Millionen Franken sammeln. Zu den neuen wichtigsten Investoren zählen die Vermögensverwalter Partners Group und GIC Singapore, aber auch Firmen wie die Schweizer Rückversicherung Swiss Re gehören dazu. 

Seit Climeworks 2017 in der KVA Hinwil die erste kleine Pilotanlage mit einer Filterleistung von 900 Tonnen CO₂ pro Jahr in Betrieb nahm, hat sich viel getan. Im letzten September eröffnete das Unternehmen in Island die erste und grösste «Fabrik» Orca, die nicht nur CO₂ aus der Atmosphäre filtert, sondern auch nahe der Anlage im Basalt-Untergrund speichert – 4000 Tonnen pro Jahr. Das CO₂ wird im vulkanischen Gestein mit den Jahren dauerhaft mineralisiert. Climeworks demonstriert den optimalen Fall: Der Energiebedarf für die Verfahrensprozesse ist hoch. Wärme und elektrischer Strom stammen jedoch in Island von einem geothermischen Kraftwerk, sind also erneuerbar. Und der nahe bei der «Filterfabrik» gelegene Untergrund zur Speicherung wirkt sich ebenfalls günstig auf die Ökobilanz aus. 

Die im September eröffnete neue Anlage Orca von Climeworks auf Island filtert 4000 Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre. Im Hintergrund ist das Geothermie-Kraftwerk Hellisheidi, das erneuerbare Wärme und Strom liefert.

Die Effizienz der Climeworks-Anlage in Island beträgt mehr als 90 Prozent, wie eine im Fachmagazin «Nature Energy» veröffentlichte Studie der RWTH Aachen zeigt. Das heisst: Der Bau und der Betrieb der Anlage verursachen etwa 10 Prozent der CO₂-Menge, die aus der Atmosphäre entfernt wird. Zu einem ähnlichen Resultat kommen auch Forscher des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) in Villigen AG, welche die Ökobilanz solcher Filteranlagen modellierten unter verschiedenen Annahmen: unter anderem Standortklima, Energieversorgung, Landbedarf, Wasserkonsum. Entscheidend ist, dass die Energie für die CO₂-Filterung erneuerbar ist. Sobald sie von fossilen Quellen stammt, kann die CO₂-Bilanz auch negativ sein, sprich, es wird unter dem Strich mehr CO₂ produziert als herausgefiltert. 

Zudem sollte das aus der Atmosphäre gewonnene Treibhausgas möglichst nahe bei der Filteranlage dauerhaft im Untergrund gespeichert werden. Das wird ein limitierender Faktor für diese Technologie sein, weil es weltweit nur beschränkt Regionen gibt, welche die notwendigen geologischen Verhältnisse für die Speicherung aufweisen. Mit der Distanz zur Filteranlage erhöhen sich die Gesamtkosten, und die CO₂-Bilanz verschlechtert sich. Die PSI-Forscher sehen in diesem Verfahren eine Schlüsseltechnologie für die angestrebte Klimaneutralität. Allerdings empfehlen sie Regierungen und Behörden, Bauvorhaben nur aufgrund umfassender Ökobilanzen zu bewilligen.

Ziel: 1 Million Tonnen pro Jahr

Doch auch wenn die Technologie in den letzten Jahren effektiver geworden ist, so ist man dennoch weit entfernt von der Menge, die es letztlich für die Klimaneutralität braucht. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet in ihren Szenarien ab 2030 mit Filtermengen von 85 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr, bis 2050 sollen es knapp 1000 Millionen Tonnen sein. 

Ob diese Tonnagen je erreicht werden, weiss derzeit niemand. Climeworks hat sich zum Ziel gesetzt, in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts 1 Million Tonnen CO₂ pro Jahr filtern zu können. Das gleiche Ziel will eine amerikanische Firma bereits 2024 erreichen. Inzwischen gibt es in Europa, in den USA und Kanada 19 kleine Anlagen, deren gefiltertes CO₂ jedoch nicht im Untergrund gebunkert, sondern für Produkte wiederverwendet wird, zum Beispiel für die Herstellung von Kohlensäure in Getränken. 

«100 Euro für die Entfernung von 100 Kilogramm CO₂.»

Aus climeworks.com

Auch die Kosten sind nach wie vor extrem hoch. Wer bereits heute seine CO₂-Emissionen kompensieren will, der kann bei Climeworks für 100 Euro 100 Kilogramm CO₂ aus der Atmosphäre entfernen lassen. Reiche Unternehmen lassen sich von solchen Preisen nicht abschrecken. So hat zum Beispiel die liechtensteinische Bank LGT einen Vertrag mit Climeworks abgeschlossen, in den nächsten 10 Jahren 9000 Tonnen CO₂ zu filtern. Swiss Re hat ebenfalls eine 10-Jahr-Vereinbarung über 10 Millionen Dollar mit Climeworks, um bis 2030 klimaneutral zu werden.  

Es braucht Subventionen

Die IEA rechnet heute mit Kosten von 600 bis 1000 Dollar pro gefilterte und im Untergrund gespeicherte Tonne CO₂. Die künftige Preisentwicklung sei jedoch nicht abschätzbar. Eine Kostensenkung auf etwa 200 Dollar sei theoretisch realistisch. Kurzfristig seien aber grossskalige Filteranlagen ohne staatliche Subventionen nicht realisierbar, heisst es in einem Bericht der IEA. Wer heute CO₂ kompensieren will, kann auf dem Emissionsmarkt Zertifikate für weit unter 100 Franken kaufen. 

Doch wie immer sich diese Technologie entwickeln wird: Der Weltklimarat weist deutlich darauf hin, dass solche Methoden die Gesellschaft nicht von einem schnellen Ausstieg aus der fossilen Energie befreien. Im Gegenteil: Je schneller die Abkehr, desto weniger CO₂ muss aufwendig und für teures Geld aus der Atmosphäre entfernt werden.   

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