Vergeltungsangriff erfolgtWelche Botschaft Israel mit dem Angriff sendet – und der Iran mit seiner Reaktion
Die nächtlichen Luftschläge waren der grösste Angriff auf den Iran seit den Achtzigerjahren. Trotzdem spielt Teheran sie herunter. Wie es in der Region weitergeht, hängt von zwei Faktoren ab.
Zu den merkwürdigen Eigenschaften des Nahen Ostens zählt, dass ein Land ein anderes angreifen kann und es als Beitrag zur Deeskalation durchgeht. Die ankündigte israelische Reaktion auf den Raketenangriff des Iran vor gut drei Wochen, sie ist nun also geschehen, und sie ist, angesichts dessen, was die Optionen waren, eher moderat ausgefallen.
Israel hat militärische Ziele im Iran angegriffen. Vor allem Produktionsstätten für Raketen und die iranische Luftabwehr seien getroffen worden, hiess es von Israels Militärsprecher Hagari. Unter den Zielen waren weder die Ölinfrastruktur des Landes noch die Atomanlagen, ein Signal, dass Israel nicht den grossen, direkten Konflikt mit dem Iran sucht. Jedenfalls für den Moment.
Als es hell wurde am Samstagmorgen in Teheran und Israel den Angriff für beendet erklärte, hatte sich das iranische Regime schon eine Kommunikationsstrategie überlegt. Im Wesentlichen sind es zwei Botschaften: Der Angriff sei harmlos gewesen, die Behauptungen «des kriminellen Regimes von Israel», man habe 20 Ziele im Land getroffen, seien falsch, es seien auch weniger israelische Flugzeuge im Einsatz gewesen als behauptet. Die Luftabwehr habe «erfolgreich» auf den Angriff reagiert. Wobei, wie es noch am Vormittag hiess, zwei iranische Soldaten getötet wurden.
Daneben meldete die Nachrichtenagentur Tasnim, eine «Quelle» aus dem iranischen Regime habe mitgeteilt, man sei «bereit, zurückzuschlagen». Dass Tasnim über Quellen im Apparat verfügt, ist nicht allzu erstaunlich, die Agentur gilt als das Sprachrohr der Revolutionsgarden. Angesichts der Rhetorik im Sommer allerdings klang das Regime diesmal sehr vorsichtig. Nach der Tötung des Hamas-Mannes Ismail Haniya in Teheran hatten sich die Männer an der Spitze des Regimes mit Drohungen gegen Israel überboten.
In dem langen Jahr seit dem 7. Oktober steht die Region mal wieder vor der Frage: Wie geht es weiter?
Selbst damals aber kam lange kein Vergeltungsschlag. Zudem entschloss sich die Islamische Republik erst jetzt, Anfang Oktober, nach den israelischen Erfolgen im Libanon und dem Tod von Hassan Nasrallah, dem langjährigen Anführer der Hizbollah. In Teheran spürte man da offenbar den Druck, reagieren zu müssen, ohne Israel gegenüber allzu schwach auszusehen. Immerhin war Israel dabei, einen Grossteil dessen zu zerstören, was der Iran im Libanon über viele Jahre aufgebaut hatte: die Hizbollah mit ihrem Arsenal an Raketen.
In dem langen Jahr seit dem 7. Oktober, also dem Überfall der Hamas auf Israel, steht die Region jetzt mal wieder vor der einen Frage: Wie geht es weiter?
Der Iran hielt sich lange Zeit zurück und überliess das Kämpfen seinen Verbündeten der «Achse des Widerstands», also der Hamas, der Hizbollah und den Milizen im Irak und Jemen. Bis zum Beginn des Krieges im Libanon im September sah es aus, als könnte die iranische Führung ihre Taktik durchhalten, also ihre indirekte Kriegsführung. Als gäbe es für den Iran sogar etwas zu gewinnen. Israel hatte sich mit seiner brutalen Kriegsführung in Gaza mehr und mehr diskreditiert, die Iraner dagegen griffen Israel im April ohne grössere Konsequenzen mit Raketen und Drohnen an, zum ersten Mal in der Geschichte. Für die Mullahs war das ein Sieg.
Aus dieser Lage befreite sich Israel, indem es bereit war, weiterzugehen. Weiter, als auch seine westlichen Verbündeten es wollten. Im Sommer gewann Israel die Oberhand in seinem Multifrontenkrieg; es blamierte den Iran mit der Tötung von Ismail Haniya, es entschärfte die dauernde Drohung der angeblich so gefährlichen Hizbollah.
Die Luftschläge auf den Iran in der Nacht auf Samstag sind ein weiterer Schritt. Es ist der erste grössere Angriff auf das Land seit den Achtzigerjahren. Seit dem Krieg zwischen dem Iran und dem Irak. Die Israelis zeigten, wozu sie auch ohne Hilfe der USA militärisch in der Lage sind. Auch wenn es vor allem dem Druck von US-Präsident Biden zu verdanken sein dürfte, dass der Angriff nicht heftiger ausfiel.
Die meisten Menschen im Iran bekamen von den Luftangriffen nichts mit
Und jetzt? Wenn beide Seiten in einem Konflikt einen Angriff herunterspielen, ist das zunächst ein gutes Zeichen. Der jüdische Staat hat sich in einem entscheidenden Moment gegen die Eskalation entschieden. Der Iran steht nicht unter unmittelbarem Druck, reagieren zu müssen – jedenfalls nicht in dem direkten Schlagabtausch mit Israel. Liest man zwischen den Zeilen, senden die Israelis und die Iraner an diesem Morgen eine ähnliche Botschaft: Der Krieg findet ab jetzt wieder indirekt statt. Anderswo. Das heisst vor allem im Libanon.
Ende Oktober wird die israelische Knesset über ein Verbot des Palästinenserhilfswerks UNRWA abstimmen. Generalkommissar Philippe Lazzarini rechnet mit der Schliessung und warnt vor den Folgen.
Mit dieser Art des Krieges, das wissen sie wohl in Teheran wie in Tel Aviv, also mit Raketenangriffen gefolgt von Luftschlägen und immer so weiter, hat auf die Dauer keine Seite viel zu gewinnen. Israels Schläge auf den Iran mögen zielsicherer sein und mehr Schaden anrichten, andererseits ist der psychologische Schaden solcher Angriffe in Israel grösser: Dort, nicht im Iran, musste das ganze Land in Bunker fliehen. Im Iran, viermal so gross wie Deutschland, bekamen die meisten Menschen von den israelischen Luftangriffen nichts mit.
Worum es jetzt geht, ist, wie der Nahe Osten aussehen wird nach dieser Krise, die mit dem Hamas-Angriff vergangenes Jahr begann. Das iranische Regime, dessen Abschreckungskraft in den vergangenen Monaten gelitten hat, wird sich überlegen, wie es seinen Einfluss in der Region retten oder aufs Neue aufbauen kann. Wie sich verhindern lässt, dass die Hizbollah kollabiert. Andere Verbündete wie Syrien signalisieren schon heute, dass sie den iranischen Führungsanspruch infrage stellen.
Die weitere Lage im Nahen Osten hängt also von zwei Faktoren ab. Einerseits, wie lange Israel noch kämpfen will, was seine Kriegsziele sind. Das dürfte auch damit zu tun haben, ob Donald Trump die Wahl gewinnt. Und andererseits, wie der Iran auf die Lage blickt: Glaubt das Regime in Teheran, dass von seiner «Achse des Widerstands» genügend übrig bleibt – dass sie sich über die Jahre erholen kann? Oder ändern die Mullahs und ihre Generäle die Strategie und treiben, zum Beispiel, ihr Atomprogramm entschiedener voran? Auch ein weiterer Raketenschlag auf Israel wäre ja möglich.
Am Samstagmorgen sah es danach nicht aus. Aber solange in Teheran ein zutiefst Israel-feindliches Regime regiert und in Israel ein Premier, der seit Jahrzehnten gegen den Iran vorgehen will, so lange bleibt auch die Gefahr eines grossen Krieges zwischen den beiden Ländern.
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