Israel plant Offensive in RafahVon Nord nach Süd kein sicherer Ort
Israel hatte die Palästinenser dazu aufgerufen, in den Süden des Gazastreifens zu fliehen – und will nun genau dort angreifen. Warum eine Bodenoffensive in Rafah heftig kritisiert wird.
Es müssen bange Stunden sein für die Zivilbevölkerung in der Stadt Rafah. Gemäss Schätzungen suchen dort, im Süden des Gazastreifens, mehr als eine Million Menschen Schutz vor den Angriffen der israelischen Armee. Sie sind dorthin geflohen, weil es als letzter sicherer Ort in Gaza gilt. Noch sind keine israelischen Bodentruppen in der Stadt nahe der Grenze zu Ägypten. Aber das könnte sich bald ändern.
Die israelische Armee scheint eine Bodenoffensive vorzubereiten. Bereits am Freitagnachmittag hatte Premierminister Benjamin Netanyahu bekannt gegeben, dass er die israelische Armee angewiesen habe, einen Evakuierungsplan für die Zivilisten in Rafah zu erarbeiten.
Netanyahu kündigt «sicheren Korridor» an
Es ist allerdings unklar, wie eine solche Evakuierung funktionieren soll und wohin die Menschen bei einer Ausweitung der israelischen Bodenoffensive fliehen könnten. In einem Interview mit dem US-Sender ABC News kündigte Netanyahu in der Nacht auf Sonntag an, den Schutz suchenden Zivilisten in Rafah einen «sicheren Korridor» zu schaffen. «Dies ist Teil unserer Kriegsanstrengungen, um Zivilisten aus der Gefahrenzone zu bringen. Es ist ein Teil der Bemühungen der Hamas, sie in der Gefahr zu halten.»
Auf die Frage, wohin die weit mehr als eine Million Palästinenser in der an Ägypten angrenzenden Stadt gehen sollen, sagte Netanyahu, dass man «einen detaillierten Plan» ausarbeite. Israel hatte die Bevölkerung in Gaza dazu aufgerufen, den Norden des Landes zu verlassen und im Süden des schmalen Küstenstreifens Schutz zu suchen. Dementsprechend wurden viele der Menschen, die in Rafah Zuflucht gefunden haben, seit Beginn des Krieges schon mehrmals vertrieben.
Auch in Sicherheitskorridoren wurden Zivilisten getötet
Die Suche nach Lebensmitteln und Medikamenten ist zu einer täglichen Herausforderung für die Menschen geworden. Da der Küstenstreifen abgeriegelt ist, können die etwa 2,3 Millionen Bewohner Gaza nicht verlassen.
Ein Grossteil des Gazastreifens ist zerstört. Vielerorts könnten Blindgänger gefunden werden, die Zerstörung anrichten, Menschen verletzen oder töten. Zudem ist das Vertrauen der Palästinenser in die israelischen Sicherheitskorridore gering. In der Vergangenheit wurden Zivilisten auch in Sicherheitskorridoren verletzt oder getötet, selbst wenn sie eine weisse Fahne zeigten. Nicht nur Palästinenser, auch die UNO spricht davon, dass es von Norden bis Süden keinen sicheren Ort in Gaza gebe.
Ägypten warnte Israel bereits, dass jeder Schritt, der die Menschen aus dem Gazastreifen in sein Hoheitsgebiet treibe, den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag gefährden könnte, der seit 1979 ein Grundpfeiler der Stabilität im Nahen Osten ist.
Hamas-Bataillone sollen Ziel der Offensive sein
Grund für die geplante Bodenoffensive ist laut Netanyahu, dass es sonst unmöglich sei, das Kriegsziel zu erreichen: Die Hamas könne nicht zerschlagen werden, wenn man vier ihrer Bataillone in Rafah belasse. Bei einem Angriff gegen Israel ermordete die Hamas am 7. Oktober mehr als 1200 Menschen und nahm mehr als 240 Menschen zu Geiseln. Von ihnen werden noch mehr als 130 in Gaza festgehalten, von denen jedoch manche den flächendeckenden israelischen Bombardements zum Opfer gefallen sein könnten.
Wann der Militäreinsatz beginnen und wie lange er andauern soll, ist bislang nicht bekannt. Netanyahu hat Mitgliedern des Kriegskabinetts nach Angaben der israelischen Tageszeitung «Haaretz» mitgeteilt, dass die Operation bis zum 10. März, dem erwarteten Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan, abgeschlossen sein müsse.
Eine diplomatische Quelle erklärte der Tageszeitung, dass die israelischen Äusserungen über Rafah den Druck auf die Hamas-Führung erhöhen könnten. Sie könnte gezwungen sein, sich flexibler zu zeigen, wenn es um ein Abkommen zur Freilassung der israelischen Geiseln geht. Nach israelischen Medienberichten kam es bereits zu Luftangriffen auf Rafah und Umgebung. Dabei sollen etwa 20 Menschen getötet worden sein.
«Offensive wäre humanitäre Katastrophe mit Ansage»
Hilfsorganisationen, die Vereinten Nationen und mehrere Diplomaten bezeichnen den geplanten Einmarsch in Rafah als alarmierend. US-Präsident Joe Biden nannte bereits vor wenigen Tagen Israels Vorgehen «überzogen». Es gebe zu viele unschuldige Opfer. «Das muss aufhören», forderte Biden.
Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock warnte auf der Plattform X eindringlich: «Eine Offensive der israelischen Armee auf Rafah wäre eine humanitäre Katastrophe mit Ansage. Die Menschen in Gaza können sich nicht in Luft auflösen.» Auch die niederländische Aussenministerin Hanke Bruins Slot teilte auf X mit, dass eine solche Offensive «nicht zu rechtfertigen» sei.
Und auch die Hamas warnt. Ein hochrangiges Mitglied der Terrororganisation sagte gemäss mehreren Medienberichten in dem von der Hamas betriebenen Fernsehsender Aqsa: Sollte die israelische Armee ihre Pläne umsetzen und militärisch in Rafah vorgehen, könnte dies zu einem Abbruch der Verhandlungen über die Geiseln führen.
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