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Analyse zur Waffenruhe in Nahost
Israel hat viele Gründe für die Feuerpause

Hat den Kampf um Gaza mit dem Kampf ums eigene politische Überleben verquickt:  Premierminister Benjamin Netanyahu bei einer Präsentation zur israelischen Militäroperation gegen die Hamas im Gazastreifen.
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Elf Tage lang wurde gekämpft, elf Tage lang wurde gestorben - und die von Israels Sicherheitskabinett am Donnerstagabend erklärte Bereitschaft zur Waffenruhe war sehnlichst erwartet worden. Denn der jüngste Krieg zwischen Israel und der palästinensischen Hamas hatte sich in kurzer Zeit mit ungleich grösserer Wucht entfaltet als alle drei Gaza-Kriege zuvor. Am Ende aber gab es selbst aus militärischer Sicht für Israel nur noch sehr wenige Gründe für eine Fortsetzung der Kämpfe – und sehr viele für eine schnelle Waffenruhe.

Die Hamas ist hart getroffen worden, die Islamisten wurden um Jahre zurückgeworfen.

Erstens: Israels Militär hat die von der Politik gesetzten Kriegsziele weitgehend erreicht. Nach ihrem Überraschungsangriff mit Raketen auf Jerusalem ist die Hamas hart getroffen worden, ihre militärischen Mittel wurden drastisch eingeschränkt, die Abschreckung ist wiederhergestellt. Selbst Premierminister Benjamin Netanyahu, der den Kampf um Gaza mit dem Kampf ums eigene politische Überleben verquickt hat, räumt ein, dass die feindlichen Islamisten um Jahre zurückgeworfen wurden. An ihrem Sturz, der eine Fortsetzung des Kriegs erfordern würde, hat Israel kein Interesse.

Was als legitime Selbstverteidigung Israels begann, wird zur Bestrafungsaktion.

Zweitens: Je länger der Krieg gedauert hat, desto mehr hat sich sein Charakter verändert. Was als legitime Selbstverteidigung Israels gegen die masslosen Raketenangriffe der Hamas begann, wurde zur Bestrafungsaktion auf dem Rücken der Zivilbevölkerung. Die Zerstörung von noch einem Kilometer mehr des Hamas-Tunnelsystems unter Gaza rechtfertigt nicht die damit einhergehende Verwüstung von Wohngegenden und die zwangsläufigen zivilen Opfer. Die Jagd auf noch einen Kommandanten der Milizen steht nicht für die humanitäre Katastrophe, die als Folge des israelischen Bombardements den zwei Millionen Bewohnern des Gazastreifens droht.

Gefährliche Sitzgelegenheit: Ein palästinensisches Mädchen ruht sich aus auf einem israelischen Blindgänger, einer nicht explodierten Rakete. 

Nach palästinensischen Angaben sind fast die Hälfte der bislang etwa 230 Toten Frauen, Kinder und ältere Männer. Mehr als 50’000 Menschen sind bereits innerhalb des Küstenstreifens auf der Flucht. Sauberes Trinkwasser wird knapp, Strom sowieso. Und wer will noch von Covid-19 reden, wenn F-16-Bomber über Gaza donnern?

Die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation wächst.

Drittens: Mit jedem neuen Tag der Kämpfe würde die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation wachsen. Inzwischen heulen die Sirenen nicht mehr nur im Süden und im Zentrum Israels. Raketenalarm gab es auch schon im Norden, in Haifa und Akko. Der Beschuss kam aus dem Libanon, dreimal bereits in dieser Woche. Auch wenn kein Schaden angerichtet wurde, darf dies als wiederholte Warnung aus dem Reich der Hizbollah verstanden werden, dass sich irgendwann noch eine zweite Front auftun könnte. Obendrein befeuert der Krieg um Gaza die Unruhen im palästinensischen Westjordanland sowie in den israelischen Städten und Regionen mit gemischter Bevölkerung.

Auf dem Spiel steht eine ganz konkrete Verstimmung im Verhältnis zu den USA.

Viertens: Bei einer Fortsetzung des Kriegs wäre der politische Schaden grösser als der militärische Nutzen. Auf dem Spiel steht nicht nur Israels Image in der Weltöffentlichkeit, sondern zuvörderst eine ganz konkrete Verstimmung im Verhältnis zu den USA. In Washington regiert nicht mehr Donald Trump, der Israel immer und überall freie Hand gelassen hatte. Der neue US-Präsident Joe Biden hat Netanyahu bereits ultimativ zur Deeskalation aufgefordert.

Nach aussen hin mag Israels Premier das kühn ignoriert haben. Die Sturheit vor dem Freund hat er im Streit um das Atomabkommen mit dem Iran eingeübt. Doch auch Netanyahu weiss, dass er Biden nicht allzu sehr verprellen darf. Schliesslich ist Israels militärische Übermacht auch von jenen 3,8 Milliarden Dollar Waffenhilfe abhängig, die jedes Jahr aus Washington kommen. Zudem ist für Israel der diplomatische Flankenschutz der USA im UNO-Sicherheitsrat wichtig.

Ins politische Kalkül muss die Regierung in Jerusalem überdies noch einen weiteren Schauplatz einbeziehen: die Golfemirate. Das von Trump vermittelte Abraham-Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain hat Israel zwei erfreuliche Perspektiven eröffnet: ganz allgemein eine Aussöhnung mit arabischen Staaten der Region, ganz konkret eine Achse gegen den Iran. Der Krieg um Gaza löst nun überall den arabischen Solidaritätsreflex aus. Der Preis wäre deutlich zu hoch, für eine weitere Runde der Kämpfe gegen die Hamas die neuen Partner zu verlieren.

Gezeigt hat die jüngste Eskalation rund um Gaza aber auch, dass dieses Abraham-Abkommen allein dem Nahen Osten keine Stabilität bringen kann. Gelöst werden muss weiterhin zuerst der israelisch-palästinensische Kernkonflikt, denn dort besteht permanente Explosionsgefahr. Nicht nur ein neuer Anlauf im sogenannten Friedensprozess wird gebraucht, nötig sind auch neue Ideen. Doch als Erstes müssen nun die Waffen auch wirklich schweigen.

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