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Israel und die Geiseln
«Da dachte ich an den Holocaust»

JERUSALEM - DECEMBER 12: Families of the hostages in Gaza join with members of the public in an evening march and protest around the Knesset to demand the government work to secure their return on December 12, 2023 in Jerusalem. More than 130 people are estimated to remain captive in Gaza, having been kidnapped by Palestinian militants during the Oct. 7 attack. A weeklong ceasefire last month saw more than 100 released, but negotiations were interrupted by a return to combat. (Photo by Spencer Platt/Getty Images) *** BESTPIX ***
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Die Angehörigen der rund 137 noch von der Hamas festgehaltenen Geiseln durchleben erneut «eine Achterbahn der Gefühle» – so schildert es eine Sprecherin des Forums der betroffenen Familien. Nur einen Tag bevor arabische Medien am Donnerstag berichteten, dass Verhandlungen über die Freilassung weiterer Geiseln und eine neue Feuerpause stattfinden könnten, war von israelischer Seite das Gegenteil durchgedrungen: Das Kriegskabinett habe abgelehnt, den Mossad-Chef David Barnea zu weiteren Verhandlungen nach Katar zu schicken.

Der israelische Fernsehsender Channel 13 berichtete über Unstimmigkeiten im Kabinett. Während Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz für eine neue Initiative zur Geiselfreilassung plädiert haben soll, hätten sich Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant dagegen ausgesprochen. Ihr Argument: Zuerst müsse sich die Hamas bewegen.

20 Geiseln tot

Nach diesen Äusserungen hatten Angehörige der seit fast 70 Tagen verschleppten Menschen am Mittwoch eine Menschenkette vor der Knesset gebildet und von Netanyahu Aufklärung über das weitere Vorgehen verlangt. Während der einwöchigen Feuerpause, die vor zwei Wochen endete, waren 105 Geiseln im Austausch gegen 240 palästinensische Häftlinge freigekommen.

Israels Streitkräfte gehen davon aus, dass mindestens 20 der übrigen Geiseln nicht mehr am Leben sind. «Wir wissen, dass es nicht mehr viel Zeit gibt, und fordern die Regierung zu mutigen Entscheidungen auf», sagte Nadav Rudef, der auf die Rückkehr seines Vaters Lior hofft, auf der Kundgebung.

Wie russisches Roulette

Seit einige freigelassene Geiseln über die Bedingungen ihrer Gefangennahme sprechen, wächst bei den Angehörigen der übrigen die Angst. Bei einer Kundgebung des Familienforums am vergangenen Samstag traten vier Opfer auf, unter ihnen Ophelia Roitman. Die 77-Jährige, die bei ihrer Entführung aus dem Kibbuz Nir Oz auf einem Traktor eine grosse Wunde an der Hand erlitten hatte, schilderte ihre grosse Einsamkeit und ihre Angst davor, verrückt zu werden. «Ich habe fast kein Licht gesehen oder Essen gehabt. Da dachte ich an den Holocaust, und ich ass nur kleine Bissen von dem Pita-Brot, damit ich noch etwas für den nächsten Tag hatte.»

SHEFAYIM, ISRAEL - DECEMBER 10: Released hostages, Agam Goldstein- Almog and her mother Hen Goldstein-Almog speak during a Kfar Aza community event on the fourth night of Hanukkah on December 10, 2023 in Shefayim, Israel. Community members from Kfar Aza, a kibbutz in southern Israel, have been living in Shefayim, north of Tel Aviv, since the Oct. 7 attacks, in which dozens of Kfar Aza residents were killed, and others were kidnapped. Kfar Aza resident Chen Goldstein-Almog and three of her four children were released during last month's weeklong ceasefire. Her husband and one of her daughters were killed on Oct. 7.  (Photo by Amir Levy/Getty Images)

Auch die 21-jährige Maya Regev erzählte von seelischem Leid: «Jeder Tag da ist wie die Hölle. Man hat entsetzliche Angst und findet keinen Schlaf.» Schlimm sei auch, über keinerlei Informationen zu verfügen. Ihr 16-jähriger Bruder Itay sprach von Hunger und «schwierigen mentalen Zuständen». Margalit Moses, auch sie 77 Jahre alt und aus dem Kibbuz Nir Oz stammend, berichtete, dass sie bereits am 7. Oktober in einen Tunnel in Gaza gebracht worden sei. Die Sauerstoffmaschine, die sie nachts braucht und mitgenommen hatte, habe man ihr weggenommen. Auch als sie auf Arabisch auf ihre medizinische Notlage aufmerksam gemacht habe, habe das niemanden gekümmert. Ein Arzt habe ihr dann geraten, sich möglichst gerade an die Wand zu setzen und zu atmen. «Aber ich konnte weder atmen noch schlafen. Ich habe 49 Tage nicht geschlafen.»

Nach diesem Auftritt meldeten sich weitere Geiseln in der Öffentlichkeit und schilderten ähnliche Erlebnisse – stets mit der Forderung an die Regierung verbunden, alles zur Freilassung der übrigen Opfer zu unternehmen. Die 34-jährige Sharon Alony-Cunio erzählte, sie habe sich wie beim russischen Roulette gefühlt: «Du weisst nie, ob sie dich am nächsten Morgen leben lassen oder umbringen.»

Frauen sexuell missbraucht

Renana Eitan, Chefin der Psychiatrie im Tel Aviver Ichilov-Spital, das 14 der Freigelassenen aufnahm, sprach in der «Times of Israel» von «psychologischem und sexuellem Missbrauch». Der Zustand der Geiseln sei «schrecklich», sagte die auf Traumabehandlung spezialisierte Expertin. Eitan gab an, dass entführten Kindern das Narkosemittel Ketamin verabreicht worden sei, um sie ruhigzustellen. Die Kinder seien von ihren Eltern getrennt und gezwungen worden, brutale Videos anzuschauen. Eine Geisel habe ihr von vier Tagen in totaler Dunkelheit berichtet.

Ein anderer Arzt, der anonym bleiben wollte, informierte die Nachrichtenagentur AP darüber, dass mindestens zehn Frauen und Männer in der Zeit ihrer Gefangenschaft sexuell missbraucht worden seien. Es wird davon ausgegangen, dass sich noch 15 Frauen in der Gewalt der Hamas befinden.

Die Angehörigen seien völlig verzweifelt, sagte eine Sprecherin des Familienforums. «Wir wissen nun, dass es einem russischen Roulette gleicht, ob man ermordet wird oder nicht. Und wir haben das Gefühl, dass das jeden Abend stattfindet und wir nichts weiter tun können, als zu warten. Das ist fast nicht zum Aushalten.»