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Geisel-Austausch im Gazastreifen
Die Freilassung erfüllt Israel mit Hoffnung

This handout picture released by the Israeli army, courtesy of the hostages' families on November 25, 2023, shows former captive Danielle Aloni embracing family members upon her arrival at a hospital in Israel, following her release by Hamas in Gaza with 23 other hostages on November 24, 2023. After 48 days of gunfire and bombardment that claimed thousands of lives, a four-day truce in the Israel-Hamas war began on November 24 with 50 hostages set to be released in exchange for 150 Palestinian prisoners. (Photo by Israel Army / AFP) / NO ARCHIVES -- RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / ISRAELI ARMY" - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS
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Millionen Israelis haben am Freitag die Ankunft der ersten 13 freigekommenen Geiseln auf den Fernseh-Bildschirmen verfolgt, waren auf den Strassen, hingen an ihren Handys. Tausende sangen und tanzten auf dem Platz vor dem Tel Aviv Museum, der von den Menschen inzwischen «Platz der Entführten» genannt wird. Sie feierten bis in die späte Nacht die Rückkehr der ersten Mütter mit ihren kleinen Kindern und der zusammen mit ihnen übergebenen älteren Frauen. Andere Israelis erwarteten mit blau-weissen Flaggen die Freigekommenen, die über Ägypten aus dem Gazastreifen in Bussen zurück nach Israel kamen: Sie standen vor der Kinderklinik in der Stadt Ofakim im Süden, in welcher die Mütter mit ihren Kindern untergebracht worden waren.

Die Freilassung erfüllt die Gesellschaft mit Hoffnung: Vielleicht können auch die mehr als 220 noch in der Hand der Hamas Verbleibenden nach Hause geholt werden. Allerdings verzögerte sich am Samstag die Übergabe einer zweiten Gruppe von Geiseln. Die Hamas warf Israel vor, nicht wie vereinbart Hilfslieferungen auch in den nördlichen Teil des Gazastreifens ermöglicht und damit gegen einen Teil des Abkommens verstossen zu haben.

Die Terroristen brauchen die Geiseln als Waffe

Die Geiselfrage offenbart die Zwickmühle, in der Israel steckt. Die Regierung hatte nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober und der Entführung der rund 240 Geiseln die Parole ausgegeben: Für das Leben der Geiseln kämpfen, als ob es keinen Krieg gäbe – aber den Krieg mit einer Härte führen, als gäbe es keine Geiseln in der Hand des Feindes.

Wagen des Roten Kreuzes bringen die ersten Geiseln über die Grenze nach Ägypten.

Jeder weiss, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit sein dürfte. Die Freude der Angehörigen über die Rückkehr erster Geiseln und das anhaltende Leid derer, die weiter warten müssen, dazu der wachsende Druck auf die Regierung von Benjamin Netanyahu, die das Land vor dem pogromartigen Überfall nicht hatte schützen können: All das passt hervorragend ins Kalkül der Hamas.

Die Führer der palästinensischen Terrorgruppe nutzen die Geiseln als Waffe. Sie verstehen die israelische Gesellschaft bestens. Hamas-Chef Jahya Sinwar sass Jahre in israelischer Haft, lernte Hebräisch. Er weiss, wie stark der Zusammenhalt unter den Israelis ist. Sie betrachten sich in Notzeiten als eine grosse Familie, wollen füreinander einstehen. Deshalb heisst die Angehörigen-Kampagne zur Rettung der Geiseln: «Bring them home now». Also dem Sinn nach: Bringt sie schnellstens – und lebend! – zurück zu uns.

Eine Delegation aus Katar traf in Israel ein

Das spricht jedem Israeli aus dem Herzen. Nur einige der oft rechtsextremen Siedler meinen, dass man das Leben der Geiseln schlicht opfern solle zugunsten eines raschen und vollständigen Sieges über Hamas. Hier kann die Terrororganisation den Hebel ansetzen. Die mit der Hilfe Katars getroffene Vereinbarung sieht vor, dass die viertägige Waffenruhe verlängert werden kann: Für jeweils weitere zehn freikommende Geiseln verlängert sie sich um einen Tag. In der Vereinbarung vorgesehen sind eine Dauer von maximal zehn Tagen Feuerpause und der Austausch von bis zu 100 Geiseln gegen 300 Gefangene.

Angesichts der Zahl an Geiseln – am Ende der derzeit viertägigen Waffenruhe werden es rund 190 Personen sein – könnte die Hamas den Zeitraum mit einer Hinhaltepolitik eventuell verlängern. Zudem ist am Samstagvormittag eine Delegation der Katarer in Israel eingetroffen. Sie könnte nach den Worten ihres Sprechers an einer möglichen Verlängerung der bisher vereinbarten Feuerpause arbeiten. Der Sprecher des Aussenministeriums des Golf-Emirates sagte, man könne die bisherige Absprache durchaus erweitern: «Wir haben die Formel. Deshalb wird es leichter sein, einen zweiten Deal über die Bühne zu bringen.»

Während der Waffenruhe könnte sich die Hamas neu aufstellen

Je mehr Menschen zurückkommen, desto lauter wird der Ruf nach der Rettung aller werden: Um das Leben des 2006 von der Hamas entführten Soldaten Gilad Shalit bangten die Israelis fünf Jahre, bis er bei einem Gefangenenaustausch freikam. Was aus humanitären Gründen zu begrüssen wäre, hätte militärisch und politisch aber Folgen für Israel. Die Armee dürfte sich schwertun, den Druck auf die ihr im Bodenkampf unterlegene Hamas aufrechtzuerhalten. Derzeit hat die IDF die Kämpfer im Norden des Gazastreifens und in Gaza-Stadt stark in die Enge getrieben, angeblich rund 5000 Männer getötet, darunter einige Kommandeure.

Israel leidet ökonomisch unter dem Krieg. Rund 400’000 Reservisten sind mobilisiert worden – sie fehlen der Wirtschaft.

Während einer längeren Waffenruhe samt Flugverboten für die Israelis könnte die Hamas sich neu aufstellen, sich teilweise in den Süden zurückziehen und ihre Position dort stärken. Zugleich drängt die Hamas die in den Süden geflohenen Menschen, jetzt sofort in den Norden zurückzukehren. Die dort laufende Militäroperation könnte ebenfalls erschwert werden.

Doch nicht nur müssten die Generäle ihre ins Stocken gekommene Offensive wieder hochfahren. Israel leidet auch ökonomisch unter dem Krieg. Rund 400’000 Reservisten sind mobilisiert worden – sie fehlen der Wirtschaft. Je länger der Krieg dauert, desto grösser ist der ökonomische Schaden, was die Kriegsbereitschaft auf Dauer schwächen könnte. Auch dies dürfte zum Hamas-Kalkül zählen.

Und innerhalb Israels könnten auch politische Überlegungen die Bereitschaft zu einem längeren Krieg schwächen. Der Oppositionspolitiker Benny Gantz ist ein Ex-Offizier, der vor seiner politischen Karriere Generalstabschef und Verteidigungsminister war, bevor er in Netanyahus «Kriegskabinett» wechselte. Gantz spekuliert darauf, dass der Premier den Krieg politisch nicht überleben wird. Damit wäre der Kampf um das Amt des Regierungschefs eröffnet, es könnte die Stunde von Gantz sein. Am Freitag erschien er auf dem «Platz der Entführten», um mit den dort versammelten Familien der Geiseln zu sprechen: Aber nicht als Netanyahus Kriegskabinettsmitglied, sondern als «Privatmann».