Eskalation in NahostIsrael droht: «Das ist erst der Anfang»
Netanjahu droht weitere, massive Militärschläge gegen die Hamas an – auch eine Invasion des Gazastreifens mit Bodentruppen. Doch das wäre nicht ohne Risiko.
Als ob die Bomben und Raketen nicht genug wären, als ob ein Krieg nicht reicht. Seit Tagen toben die Kämpfe zwischen der israelischen Armee und der palästinensischen Hamas rund um den Gazastreifen. Die Gefechte sind gewaltig, der Blutzoll ist hoch. Und nun breiten sich im Windschatten dieser Schlachten auch noch heftige Auseinandersetzungen innerhalb Israels zwischen jüdischen und arabischen Staatsbürgern aus.
In Richtung Gaza droht Premierminister Benjamin Netanyahu lautstark: «Das ist erst der Anfang.» In der Stadt Lod warnt der verzweifelte Bürgermeister Yair Revivo vor einem «kolossalen Bürgerkrieg in ganz Israel». Die Führung in Jerusalem kämpft nun gleichsam an zwei Fronten.
Die Islamisten haben mehr Raketen
In der militärischen Auseinandersetzung hat Israel in den ersten Tagen dieses vierten Gazakriegs einige böse Überraschungen erlebt. Mehr als 1600 Raketen haben Hamas und Islamischer Jihad bereits abgefeuert – ein deutlicher Beleg dafür, dass sie ihre Kapazitäten seit dem vorangegangenen Krieg 2014 deutlich aufgestockt haben. Als Erfolg feiern sie die gewaltigen Salven auf Tel Aviv und Umgebung, ein Dutzend Raketen in Richtung Dimona, wo Israels Atomzentrum liegt, sowie die Unterbrechung des Flugverkehrs nach Israel.
Acht Menschen sind in Israel bereits gestorben. Ein fünfjähriger Junge aus Sderot ist darunter, in dessen Elternhaus eine Rakete einschlug. Auch ein junger Soldat, der kurz vor dem Ende seines Militärdienstes stand und dessen gepanzerter Jeep im Grenzgebiet von einer Panzerabwehrrakete getroffen wurde. Zudem noch ein Vater mit einer 16-jährigen Tochter, die im Auto starben – beide israelische Araber. Die Raketen der Hamas machen keine Unterschiede.
Der in Katar residierende Hamas-Chef Ismail Haniya verkündet bereits eine «neue Balance der Macht» mit Israel. Bislang 67 Tote und mehr als 400 Verletze im Gazastreifen trüben seine Jubelstimmung offenbar nicht. Dass er in dieser asymmetrischen Auseinandersetzung am Ende nicht gewinnen kann, weiss er aus Erfahrung. Doch die meisten seiner Ziele hat er gleich zu Beginn erreicht. Sein Erfolg ist die Angst in Israel und die fast ungeteilte Unterstützung im Lager der Palästinenser.
Vor diesem Hintergrund klingen Berichte plausibel, die Hamas habe über russische Vermittlung den Israelis bereits ein Angebot zur Waffenruhe «auf gegenseitiger Basis» unterbreitet. Doch in Israel will man davon explizit nichts hören. Verteidigungsminister Benny Gantz stellte mit Blick auf den steigenden Druck klar, «wir werden uns keine Moralpredigten anhören». Netanyahu nannte als Priorität, dass «die Hamas einen hohen Preis bezahlt».
Israel erwägt eine Bodenoperation
In der Nacht zum Donnerstag hat Israels Sicherheitskabinett deshalb eine Ausweitung des Militäreinsatzes beschlossen. Ein namentlich nicht genanntes Kabinettsmitglied wird auf der Nachrichtenwebsite «Ynet» mit der weitreichenden Drohung zitiert: «Wenn wir alle unsere Ziele getroffen haben und die andere Seite immer noch nicht aufgibt, dann werden wir eine Bodenoperation starten.» Dies jedoch würde Israels Risiko eigener Verluste enorm erhöhen und die Armee vor ein bekanntes Dilemma stellen: Wer reingeht, der muss auch wissen, wie er wieder rauskommt.
Plan A sieht bislang vor, weiterhin aus der Luft zu attackieren. Vorrangiges Ziel sind dabei die Kommandeure des bewaffneten Arms der Hamas, auf die mithilfe des in Gaza gut vernetzten Inlandsgeheimdienstes Shin Bet Jagd gemacht wird. Als Ausweis des Erfolgs veröffentlichte die Armee eine Bildergalerie bereits getöteter Hamas-Grössen, von denen einige dem engsten Umfeld des militärischen Anführers Mohammed Deif zugerechnet werden.
Daneben geht es der israelischen Führung erklärtermassen darum, «Symbole der Hamas-Herrschaft» zu treffen. Unter den bislang mehr als 500 Angriffszielen waren deshalb drei Hochhäuser in Gaza-Stadt, in denen Hamas-Büros untergebracht waren, das Finanzministerium sowie ein Bankgebäude. Vorrangig ins Visier genommen werden zudem Raketenlager und Waffenfabriken, um die Möglichkeiten der Hamas nachhaltig einzuschränken.
In Israel kommt es auch darauf an, den zweiten Brandherd zu löschen, der sich innerhalb des Landes ausbreitet. In zahlreichen Städten mit gemischter jüdischer und arabischer Bevölkerung kommt es zu Strassenschlachten, Brandstiftungen, Plünderungen, Schiessereien und Lynchjustiz.
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Schockierende Videoaufnahmen zeigen, wie in Bat Yam ein arabischer Fahrer von einem jüdisch-nationalistischen Schlägertrupp aus dem Auto gezerrt und brutal verprügelt wird. Eine ähnlich grausame Szene spielte sich unter umgekehrten Vorzeichen in Akko ab, wo ein jüdischer Einwohner von einem arabischen Mob krankenhausreif geschlagen wurde.
Ein Modell für Koexistenz in Flammen
In Akko ging auch das über Israels Grenzen hinaus bekannte Fischrestaurant Uri Buri in Flammen auf. Der jüdische Besitzer Uri Jeremias hat es als Modell für die Koexistenz mit einer gemischten jüdisch-arabischen Belegschaft geführt. Nach dem Brand, den er noch selber zu löschen versuchte, beklagte er zwar den grossen Schaden. «Aber ich bin nicht wütend», sagte er im Radio. «Es gibt genug gute Leute in Akko, die gekommen sind und mir geholfen haben.»
Ein kleines Zeichen der Hoffnung auf friedliche Koexistenz ist dies. Doch noch flammt trotz zahlreicher Appelle von Politikern beider Seiten, trotz Polizeiverstärkung, trotz Ausgangssperren die Gewalt an vielen Orten Israels auf. Und auch im Konflikt um Gaza ist noch lange keine Ruhe in Sicht.
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