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Israel bombardiert Grenzstadt
«Die Menschen in Rafah fragen sich: ‹Wohin sollen wir noch gehen?›»

RAFAH, GAZA - FEBRUARY 12: People inspect the damage to their homes following Israeli air strikes  on February 12, 2024 in Rafah, Gaza. Strikes intensified overnight as Israel reiterated intent to press on with a ground offensive in Gaza's southern city of Rafah where some 1.4 million internally displaced Palestinians are sheltering, whilst a growing number of countries express alarm over the operation. (Photo by Ahmad Hasaballah/Getty Images)
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Mohammad Abu Saif lag noch wach in seinem Auto, im Zelt war es mal wieder zu eng zum Schlafen, als er plötzlich Feuergefechte ganz in der Nähe hörte. Es sei kurz vor 2 Uhr in der Nacht auf Montag gewesen, erzählt der 31-jährige Journalist, der seit einigen Jahren für den deutschen Sender ARD arbeitet, am Morgen danach dieser Redaktion am Telefon.

Auch er ist gerade in Rafah im äussersten Süden des Gazastreifens, wo sich rund 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge drängen, die zu einem Grossteil den bisherigen Evakuierungsaufforderungen der Israelis in den Süden gefolgt sind. Vor dem Krieg, der durch den Angriff der Hamas am 7. Oktober ausgelöst wurde, lebten hier rund 300’000 Menschen.

Wenig später erfuhr Abu Saif: Der israelischen Armee gelang es in der Nacht, zwei Geiseln, den 70-jährigen Louis Norberto Har und den 60-jährigen Fernando Marman, aus den Händen der Hamas zu befreien. Sie befinden sich inzwischen in einem Spital bei Tel Aviv, laut den Ärzten sind sie in guter gesundheitlicher Verfassung. Bilder zeigen die beiden Männer wiedervereint mit ihren Familien.

TOPSHOT - This handout picture released by the Israeli army on February 12, 2024, shows rescued Israeli-Argentinian hostage Louis Har (L) being reunited with his family at the Tel Hashomer Hospital in Ramat Gan, on the outskirts of Tel Aviv. Israel announced on February 12 the rescue of two hostages in the southern Gaza city of Rafah, where the Hamas-run health ministry said "around 100" Palestinians including children were killed in heavy overnight air strikes. (Photo by Israeli Army / AFP) / === RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / Handout / Israeli Army' - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS ==

Die Schüsse, sagt der Journalist, seien wohl bei der Befreiungsaktion gefallen. «Dann passierte alles ganz schnell, die Luftangriffe waren massiv, die Menschen gerieten in Panik, versteckten sich in ihren Zelten. Nach rund einer Stunde war alles vorbei», erzählt Abu Saif.

Bilder vom Morgen danach zeigen das Ausmass der Zerstörungen, auch drei Moscheen wurden getroffen. Zerstört wurden auch mehr als ein Dutzend Wohnhäuser, wie die örtliche Gesundheitsbehörde und Augenzeugen berichten. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa sprach unter Berufung auf medizinisches Personal von mehr als 100 Toten, darunter zahlreiche Kinder und Frauen.

Seit Tagen geht nun die Angst in Rafah um. Viele Menschen glauben, dass die Bodenoffensive der israelischen Armee kurz bevorsteht, wie Abu Saif erzählt. «Rafah war unsere letzte Hoffnung. Die Frage, die sich die Menschen hier stellen, ist: ‹Wohin sollen wir noch gehen?›» Ägypten hält die Grenzen zum Gazastreifen geschlossen und mahnt, dass Israel keinen Sturm der verzweifelten Palästinenser auf den Grenzübergang provozieren solle, weil sonst der bilaterale Friedensvertrag von 1979 zur Disposition gestellt werden könnte.

Nördlich von Rafah gebe es «viele Gebiete«, sagte Netanyahu

Israels Premier Benjamin Netanyahu hatte der Armee zuvor den Befehl erteilt, eine Offensive auf Rafah vorzubereiten. Das stiess international auf Kritik. US-Präsident Joe Biden fordert ein überzeugendes Konzept für den Schutz der Zivilbevölkerung.

«Wir werden der Zivilbevölkerung einen sicheren Weg aus der Stadt ermöglichen», sagte Netanyahu dem US-Fernsehsender ABC News am Sonntag. Auf Nachfrage des Journalisten, wie 1,4 Millionen Menschen in Sicherheit gebracht werden sollten, verwies Netanyahu auf «die Gebiete, die wir nördlich von Rafah geräumt haben – dort gibt es viele Gebiete».

Viele Familien gingen nach Norden

Die jüngsten Ankündigungen aus Israel führten dazu, so Mohammad Abu Saif, dass erstaunlich viele Familien seit Tagen trotz möglicher Gefahren Richtung Norden gingen, etwa nach Deir al-Balah oder Khan Yunis. Wie sein 74-jähriger Kollege Ahmed Younes, der vier Wochen lang in Rafah ausharrte.

Auch er ist wieder Richtung Norden gezogen. «Die Situation in Rafah kann man sich nicht vorstellen, es gibt keinen Meter Platz», erzählt er. Er ist allein in einem beschädigten Haus ohne Fenster. Ein Nachbarsjunge bringt ihm Brot und Bohnen, wenn er Glück hat, fahren Menschen mit Eselskarren vorbei, die Wasser transportieren.

People inspect the damage in the rubble of a mosque following Israeli bombardment, in Rafah, on the southern Gaza Strip on February 12, 2024, amid ongoing battles between Israel and the Palestinian militant group Hamas. (Photo by MOHAMMED ABED / AFP)

Mohammad Abu Saif merkt, dass bei vielen Menschen in Gaza die Hoffnung schwindet. «Sie erzählen mir, dass sie nur auf ein Ende des Krieges warten und dann das Weite suchen wollen. Sie haben Angst um ihre Kinder, sie wollen einfach überleben.» Auch er fürchtet um sein Leben. Er hat grosse Angst, ins Visier der israelischen Streitkräfte oder der Hamas zu geraten. Nach einer Zählung des in den USA ansässigen Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) sind im Gazakrieg bereits 83 Journalisten und Medienschaffende getötet worden.

Abu Saif und Younes versuchen seit über zwei Monaten aus Gaza auszureisen. Doch derzeit liegt ihr Fall bei der israelischen Koordinierungsbehörde für die palästinensischen Gebiete Cogat, die von Sicherheitsbedenken spricht.

Kurz bevor Mohammad Abu Saif auflegt, erzählt er, dass die Israelis seine Frau mittlerweile ausreisen lassen würden. Er scherzt: «Meine Frau hat mich zuvor immer gewarnt: ‹Wehe, du reist ohne mich aus.› Mit Blick auf die bevorstehende Offensive auf Rafah sagt sie nun, dass sie sich wohl demnächst von mir verabschieden müsse.»