Kooperation im Nahen OstenBrücke wider Willen
In der Corona-Krise wird Unmögliches möglich: In Israel landen Flugzeuge aus den Golfstaaten mit Hilfe für die Palästinenser – was diese erst mal gar nicht freut.
Bevor die Etihad-Maschine den Flughafen Abu Dhabi Mitte Mai in ungewohnter Richtung verlässt, winken Mitarbeiter geschäftig die Hilfspakete weiter. Mit Mundschutz stehen sie auf dem Rollfeld und verladen 14 Tonnen medizinischer Güter inklusive zehn Beatmungsgeräte. Auf ihrer Weste steht «UAE Aid». Die Botschaft dieser Bilder, die auf Twitter landen: Wir, die Vereinigten Arabischen Emirate, schicken während der Corona-Krise Hilfspakete an die Palästinenser.
Das geht auf dem schnellsten Weg über den israelischen Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv. Das Problem: Offiziell erkennen die Herrscher am Golf Israel nicht an. Doch in der Corona-Krise machen sie eine Ausnahme. Für die Palästinenser, sagen die Emiratis. Ein Fortschritt und ein Zeichen für die «Normalisierung» der Beziehungen zu den arabischen Staaten, sagen die Israelis.
Und so landet zum ersten Mal ein Flugzeug aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in Israel – und die Bilder davon im Netz. Der israelische UNO-Botschafter Danny Danon klingt auf Twitter besonders optimistisch: «Hoffentlich sehen wir bald auch Passagierflüge.»
Zusammenarbeit im Gesundheitswesen
Bei den Adressaten dieser «humanitären Diplomatie» in Corona-Zeiten kommt diese Botschaft aber gar nicht so gut an. Die Palästinenser lehnen die Hilfspakete aus Abu Dhabi ab. Ministerpräsident Mohammad Shtayyeh sagte im regierungsnahen Blatt «Al-Ayyam»: «Wir erfuhren von der Hilfslieferung aus der Zeitung. Sie war weder mit uns noch unserem Botschafter koordiniert worden.»
Weitere palästinensische Vertreter erklärten, sie wollten keine Brücke für Beziehungen arabischer Länder zu Israel sein. Das Verhältnis zwischen der palästinensischen Führung in Ramallah und Abu Dhabi ist auch deshalb unterkühlt, weil in den Emiraten Mohammed Dahlan Unterschlupf gefunden hat, ein Rivale von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas.
Israel und arabische Staaten nähern sich zunehmend an. Zuvor hatte Abu Dhabi der israelischen Regierung bereits Hilfe angedient. Als zwei Dutzend Israelis mitten in der Corona-Krise in Marokko strandeten, boten die Vereinigten Arabischen Emirate an, sie auszufliegen.
Marokko unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Israel, demnach dürfen israelische Flugunternehmen nicht landen. Als die Regierung in Rabat von der heimlichen Absprache erfuhr, blockierte sie den Plan. Erst drei Monate später konnten die gestrandeten Israelis mit Air France nach Paris fliegen, von dort ging es für sie weiter nach Tel Aviv.
Die Geste der Emirate zeigt erneut, wie sich Israel und einige arabische Staaten zunehmend annähern – und beide Seiten immer selbstbewusster auftreten. Lana Nusseibeh, UNO-Botschafterin der VAE, plädierte in einer Onlinekonferenz des American Jewish Committee dafür, den öffentlichen Gesundheitssektor als «unpolitisierten Raum zu sehen, in dem wir alle versuchen, unser Wissen über dieses Virus zu bündeln».
Sogar Erzfeind Katar benimmt sich während der Corona-Krise israelfreundlich.
Laut dem Sheba Medical Center in Tel Aviv gab es in den vergangenen Wochen bereits einen regen Austausch mit Vertretern von Bahrain und den VAE. Es soll auch Kontakte mit Kuwait gegeben haben, wozu es aber weder Bestätigung noch Dementi gibt.
Israel hat die Pandemie vergleichsweise gut bewältigt, auch wenn es in den vergangenen Tagen wieder einen starken Anstieg an Neuinfektionen gab, was zur neuerlichen Schliessung von 92 Schulen führte. In den VAE ist die Zahl der Infizierten etwa doppelt und in Bahrain mehr als dreimal so hoch. Im Tel Aviver Krankenhaus wird eine «wachsende Bereitschaft der Golfstaaten, im Gesundheitsbereich mit Israel zu kooperieren», konstatiert.
Die Bande für den während der Corona-Krise intensivierten Austausch sollen vergangenen Juni geknüpft worden sein. Zur Teilnahme an dem von Jared Kushner, Donald Trumps Schwiegersohn und Nahost-Verhandler, organisierten Gipfel «Peace to Prosperity» liess die Regierung in Bahrain erstmals auch Israelis einreisen. Kushner stellte damals die wirtschaftlichen Aspekte des US-Nahostplans vor, der die Palästinenser zu einem Abtreten von Gebieten an die Israelis bewegen sollte. Mit dabei in Manama war Yitshak Kreiss, der Generaldirektor des Sheba Medical Center, über das nun die Kontakte liefen.
Sogar Erzfeind Katar benimmt sich während der Corona-Krise ungewohnt israelfreundlich. So verteilte die Fluggesellschaft Qatar Airways aus PR-Gründen Freiflüge für Beschäftigte im Gesundheitswesen. Auch Israelis seien berechtigt, sich für die Tickets zu bewerben, sagte die Airline. «Es gibt keinen Unterschied, keine Barriere in medizinischen Bereichen», sagte Akbar al-Baker, Geschäftsführer der Fluggesellschaft.
Golfstaaten handeln pragmatisch
Wie unpolitisch die Zusammenarbeit im Gesundheitssektor zwischen Israel und den Golfstaaten über die Pandemie hinaus sein kann, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu will von Juli an Teile des Westjordanlandes und das Jordantal annektieren.
Zwar verurteilt die Arabische Liga die Pläne. Doch die jüngsten Annäherungsversuche lassen abseits der Rhetorik andere Interpretationen zu. So handeln die Golfstaaten nicht nur pragmatisch und reagieren auf Druck der Amerikaner. Ihre Vertreter lassen auch eine Verhandlungsmüdigkeit gegenüber der palästinensischen Führung durchscheinen.
Genau darauf setzt Israel: Uzi Dayan, der frühere Chef des Nationalen Sicherheitsrates in Israel, sieht die arabischen Staaten «nicht mehr so stark an dem palästinensischen Thema interessiert wie noch vor ein paar Jahren». Sie hätten nicht zuletzt wegen der Corona-Krise eigene Probleme. Zudem verbinde viele arabische Staaten mit Israel der Kampf gegen Terrorismus und den Iran. Auch deshalb sei der Zeitpunkt gut, den US-Plan umzusetzen.
Die am Airport Ben Gurion gelandeten medizinischen Hilfsgüter der VAE wurden inzwischen von Mitarbeitern des Sonderkoordinators der Vereinten Nationen, Nikolaj Mladenow, in Empfang genommen. Als Spende im Rahmen des UNO-Hilfsprogramms sind die Palästinenser auch bereit, sie anzunehmen.
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