Pandemie und DiskriminierungGlitzerstaaten sperren Gastarbeiter weg
In Singapur, Dubai oder Katar schuften Heerscharen von Arbeitsmigranten. Wegen Corona werden sie isoliert – und sind wachsendem Rassismus ausgesetzt.
Singapur stellt nun «floating hotels» an seinen Küsten bereit. Mit tropischer Romantik hat dies allerdings nichts zu tun – die schwimmenden Herbergen sind aus der Not geboren. Der Stadtstaat in Südostasien schafft zusätzliche Unterkünfte für Arbeiter auf dem Wasser, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Singapur braucht Platz, um Gesunde von Infizierten zu trennen.
Lange hatte die Handelsmetropole das Virus gut im Griff, doch dann kam die zweite Welle mit Rückkehrern aus aller Welt. Am 20. April kletterte die Zahl der Neuinfizierten um 1426, so hoch lag sie noch nie. Der Staat greift schon seit Anfang des Monats hart durch, erteilt jetzt keine Warnungen mehr, wenn Covid-Regeln gebrochen werden, sondern verhängt sofort Geldstrafen. Bis zu umgerechnet 6800 Franken werden fällig – im schlimmsten Fall drohen sechs Monate Gefängnis.
Doch nun baut sich ein weiteres, massives Problem auf: Die Krankheit breitet sich rasant unter ausländischen Bauarbeitern aus.
«Social Distancing» ist nicht möglich
Eine ähnliche Situation kennt auch Katar, das arabische Emirat 6200 Kilometer weiter östlich. Auch hier sind verstärkt Arbeitsmigranten aus Asien von Covid-19 betroffen – aus Indien, Sri Lanka, Bangladesh und anderen Billiglohnländern. Wie in Singapur schuften sie unter extremen klimatischen Bedingungen, schicken den mageren Verdienst zu den Familien nach Hause.
Ohne das Gastarbeitermodell wären weder Katar noch Dubai oder Singapur heute, was sie sind. Glitzernde Fassaden überall, hochgezogen von einem Pool aus Menschen, die dort rekrutiert werden, wo es meist gar keine Arbeit gibt. In Singapur sind es mehr als 200’000, in den arabischen Golfstaaten mehrere Millionen. Auch dort versuchen nun die Behörden, jene Migranten zu isolieren, die sich angesteckt haben.
In Katar etwa liess die Polizei in einem Industriegebiet, eine halbe Stunde entfernt von der Hauptstadt Doha, Mitte März Tausende Männer in beengten Wohnheimen abriegeln, nachdem Hunderte positiv auf das Virus getestet worden waren. Das war eine fatale Entscheidung für die noch Gesunden: Wie in Singapur sind die Unterkünfte der Arbeiter am Persischen Golf so, dass das viel beschworene «Social Distancing» schlicht unmöglich ist. Acht bis zwölf Personen schlafen in einem Raum, teilen sich Küche und Toiletten mit den Bewohnern anderer Zimmer.
Aufs Wasser oder in die Wüste
Arbeiter, die noch nicht krank sind, sollen deshalb zumindest in Singapur teils auf schwimmende Unterkünfte ausgelagert werden, wie sie sonst in der Offshore-Industrie, für Öl und Gas, zum Einsatz kommen. Selbst Kreuzfahrtschiffe, die derzeit keine Touristen transportieren, werden als Unterkünfte für Gastarbeiter in Betracht gezogen.
Auch in Katar überlegen manche, die Arbeiter aus den Städten zu weisen. Der ohnehin latente Rassismus in den arabischen Golfstaaten gegenüber Arbeitsmigranten tritt seit Beginn der Corona-Krise besonders heftig zutage. In Ländern wie Katar, Kuwait oder den Vereinigten Arabischen Emiraten werden immer mehr Stimmen laut, die arbeitende Ausländer für die Ausbreitung des Virus verantwortlich machen.
In Kuwait forderte die bekannte Schauspielerin Hayat al-Fahad Anfang April in einer Livesendung, man solle die Arbeitsmigranten doch in die Wüste schicken – was in einem Land, das in weiten Teilen aus Sand besteht, nicht einfach nur als Redewendung zu verstehen ist. Die Abgeordnete Safa al-Hashim, die regelmässig mit rassistischer Stimmungsmache auffällt, griff die Forderung im Parlament auf und forderte die Ausweisung aller Arbeitsmigranten. Ihr Schaden sei grösser als ihr Nutzen, sagte sie. Ein bekannter Youtuber aus den Emiraten setzte noch eins drauf: Er verstehe unter Migranten nicht die «arabischen Brüder» aus Ägypten oder Sudan, sondern lediglich Asiaten, also Inder oder Bengalen. Zwar ernteten alle drei einen Shitstorm, doch sie erhielten auch Zuspruch.
Singapurs Premier Lee Hsien Loong bemühte sich um andere Worte: In einer Ansprache hat er den Einsatz der ausländischen Arbeiter für die Nation gewürdigt und den Familien in der Ferne versichert, dass sich der Staat um deren Gesundheit kümmere. Löhne sollen unter Quarantäne weitergezahlt werden. Gleichzeitig aber keimte Kritik, wie sie nur selten im Stadtstaat zu vernehmen ist.
Tommy Koh, Singapurs früherer Gesandter bei den Vereinten Nationen, nannte die Verhältnisse in den Unterkünften «eine Zeitbombe», deren Explosion zu erwarten gewesen sei. In der «Straits Times» kam ein indischer Arbeiter zu Wort, der von Kakerlaken und überlaufenden Toiletten berichtete. Das Arbeitsministerium von Singapur erklärte, es arbeite daran, die Wohnverhältnisse zu verbessern. Die Kontrolle über das Management betroffener Arbeitersiedlungen liegt inzwischen in den Händen der Armee. Das ist ein Indiz dafür, wie ernst die Lage eingeschätzt wird.
Gastarbeiter bangen um Auskommen
Am Golf ist ein solches staatliches Eingreifen noch nicht in Sicht. Die Organisation Migrant Rights, die sich seit 2007 für die Rechte der Gastarbeiter in den arabischen Golfstaaten einsetzt, liess in einer Medienmitteilung verlauten, dass Gastarbeiter noch mehr als zuvor vom «guten Willen des Einzelnen» abhängig seien.
Einige Vermieter haben zwar die Initiative ergriffen und die Mieten vorübergehend ausgesetzt. Wohltätigkeitsorganisationen funktionieren Schulen und leer stehende Gebäude um, um die Gastarbeiter aus den beengten und gefährlichen Wohnverhältnissen zu holen. Eigentlich aber müsste die Politik für die Sicherheit der Menschen sorgen. In der Realität jedoch ist nicht einmal das Auskommen vieler Gastarbeiter garantiert.
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