Konflikt um US-NahostplanNetanyahus Landkarte ist fertig
Israels Premier konkretisiert erstmals seine Annexionspläne für Teile des Westjordanlands. Kritik kommt ausgerechnet von der Siedlerbewegung.
Jüngste Aussagen des israelischen Premiers Benjamin Netanyahu weisen darauf hin, dass er seine Ankündigung tatsächlich umsetzt, von Juli an Teile des Westjordanlands zu annektieren. Als Vorlage dient ihm der Anfang Jahr präsentierte Nahostplan von US-Präsident Donald Trump. In einem Interview mit der Gratiszeitung «Israel Hajom» hat nun Netanyahu erstmals konkrete Angaben zu seinen Plänen gemacht.
Annektieren will Netanyahu das Jordantal, einen zehn Kilometer breiten Streifen entlang der jordanischen Grenze, der bis zur Mitte des Toten Meeres reicht. Dort leben etwa 50’000 Palästinenser. Sie sollen keine israelische Staatsbürgerschaft bekommen. Städte wie Jericho mit etwa 23’000 Einwohnern sollen nicht annektiert werden, sondern als palästinensische Enklaven verbleiben. Es werde «ein oder zwei Cluster geben, über die man keine israelische Souveränität verhängen muss», sagte Netanyahu. Aber die Israelis wollen die volle Sicherheitskontrolle über das ganze Territorium.
Ein Drittel des Westjordanlands wird israelisches Staatsgebiet
Ob Palästinenser, die von Enteignungen betroffen sein könnten, Entschädigungen erhalten sollen, ist nicht klar. Rund ein Drittel der Fläche des Jordantals ist Eigentum von palästinensischen Privatpersonen. Wird der US-Plan umgesetzt, würde rund 30 Prozent der bisherigen Fläche des Westjordanlands israelisches Staatsgebiet. Dazu gehören auch jene Gebiete, auf denen die rund 120 Siedlungen mit ihren 400’000 Einwohnern stehen.
Trump verspricht den Israelis, dass Jerusalem die ungeteilte Hauptstadt Israels sei und dass die Palästinenser eine Hauptstadt in der Nähe von Jerusalem bekommen sollten. Den Palästinensern werden im Gegenzug Milliardenhilfen in Aussicht gestellt. Nach frühestens vier Jahren Verhandlungen soll ein eigener Staat realisiert werden, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt sind. Dazu müssten «die Palästinenser Kanadier werden», hat US-Botschafter David Friedman erklärt – womit er auf den sprichwörtlichen Pazifismus der US-Nachbarn anspielte. Friedman ist starker Befürworter der Annexionspläne.
In dem Interview erzählte Netanyahu freimütig, dass ihm ein US-Diplomat erklärt habe, es werde ohnehin nie einen palästinensischen Staat geben – höchstens «eine Entität, die Trump als Staat definiert». Tatsächlich bestünde laut dem US-Plan ein palästinensischer Staat aus einer Reihe unzusammenhängender Flächen, die zum Teil nur über israelisches Staatsgebiet erreicht werden könnten. Als Ausgleich für die annektierten Flächen im Westjordanland sind für die Palästinenser isolierte Gebiete in der Negev-Wüste an der Grenze zu Ägypten vorgesehen. Zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen soll eine Verbindung durch einen Tunnel oder über eine Strasse auf Stelzen gebaut werden. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat inzwischen aus Protest gegen die Annexionspläne alle Abkommen mit Israel und den USA gekündigt.
Netanyahu reagierte in dem Interview auch auf die Kritik von Siedlern an dem Plan. In der Vergangenheit sei von Israel stets der Rückzug aus 1967 eroberten Gebieten gefordert worden sowie die Teilung Jerusalems und ein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge. «Dieser Plan bietet das Gegenteil an. Nicht von uns wird verlangt, dass wir Land aufgeben, sondern von den Palästinensern», sagte Netanyahu. Zudem müssten die Palästinenser endlich anerkennen, «dass wir diejenigen sind, die die Sicherheitsregeln für das ganze Gebiet diktieren».
Es ist überraschend, dass sich die Siedlerbewegung in Israel an die Spitze derjenigen gestellt hat, die den US-Plan ablehnen. Der Siedlerrat hat diese Woche eine Kampagne gestartet mit dem Ziel, den Plan zu verhindern. Ihre Vertreter stossen sich vor allem an dem Ziel, dass einmal ein palästinensischer Staat errichtet werden soll. Zudem bemängeln sie, dass in ihm 15 Siedlungen als isolierte Enklaven liegen würden.
Europäische Regierungen gegen Annexionspläne
Während einige Pragmatiker in der Siedlungsbewegung die Umsetzung des Plans bevorzugen und einen Palästinenserstaat ohnehin als eine unrealistische Perspektive betrachten, wollen vor allem einige Ideologen ihre Vision eines «Grossisrael» nicht preisgeben. Avraham Schvut, einer der ersten Siedler im Westjordanland, geht sogar so weit zu behaupten, der US-Nahostplan sei gefährlicher als das Oslo-Abkommen, weil damit ein palästinensischer Staat akzeptiert werde.
Die Siedler werden in ihrem Widerstand von Netanyahus früherem Koalitionspartner unterstützt, der Jamina-Partei. Als einziger Politiker aus ihren Reihen ist Rafi Peretz in der Regierung geblieben und verspricht: «Wir werden die israelische Souveränität mit voller Kraft ausdehnen, aber wir werden unter keinen Umständen erlauben, dass ein palästinensischer Staat errichtet wird.»
Mehrere Staats- und Regierungschefs aus Europa, darunter jene aus Frankreich, Grossbritannien, Italien und Spanien, haben Netanyahu in den vergangenen Tagen Briefe geschrieben mit der Aufforderung, auf die Annexionspläne zu verzichten. Netanyahus Sprecher wollte sich dazu nicht äussern.
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