Nuklearstreit mit IranIrans Geheimdienstminister droht mit der Atombombe
Der Iran könnte doch zur Bombe greifen, wenn der Westen die Islamische Republik weiter unter Druck setze, sagt Geheimdienstminister Mahmoud Alavi. Mit dieser Aussage bricht er ein Tabu in seinem Land.
Das Persische ist eine an Bildern reiche Sprache. Und so wählte Mahmoud Alavi eine Art Gleichnis, um eine politische Bombe zu platzieren. Wenn man eine Katze in die Ecke dränge, philosophierte der 66-jährige Kleriker im Staatsfernsehen, dann verhalte sie sich vielleicht nicht so, wie wenn sie sich frei bewegen könne.
Aufsehen erregen diese Worte, weil der Mann Geheimdienstminister im Kabinett von Präsident Hassan Rohani ist und Alavi letztlich drohte, dass der Iran entgegen allen bisherigen Versicherungen doch nach der Atombombe greifen könnte. Wenn der Westen die Islamische Republik weiter unter Druck setze, könnten sie in diese Richtung gedrängt werden, was dann aber nicht mehr in Teherans Verantwortung liege, warnte Alavi – der mit dieser Aussage ein Tabu im Iran brach.
Fatwa des Obersten Führers
Bislang hatten alle Regierungsvertreter unisono immer wieder bekräftigt, Teheran habe niemals nach einer nuklearen Bewaffnung gestrebt und werde das auch niemals tun. Dem schenkten angesichts der Erkenntnisse über das iranische Atomprogramm weder westliche Geheimdienste Glauben, noch stellten die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) dem Land einen entsprechenden Persilschein aus.
Doch verwiesen Vertreter des iranischen Regimes, wie Aussenminister Mohammad Jawad Sarif, Präsident Rohani und nun auch Alavi, immer wieder auf eine Fatwa des Obersten Führers Ali Khamenei, ein aus dem islamischen Recht abgeleitetes Verdikt. «Unser Atomprogramm ist ein friedliches, und der Oberste Führer hat in seiner Fatwa klargestellt, dass die Herstellung von Atomwaffen gegen die Scharia verstösst, die Islamische Republik sie nicht verfolgt und als verboten betrachtet», referierte Alavi die Position Khameneis. Dessen Stellung als höchste Instanz des iranischen Staates leitet sich in der Ideologie des Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Khomeini ab aus dem Prinzip der Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat e-Faqih).
Teheran spielt mit verteilten Rollen: Kompromissvorschläge wechseln sich mit Drohungen ab.
Die Aussagen des Geheimdienstministers lassen sich einordnen in einen vielstimmigen Chor iranischer Regierungsvertreter, der letztlich auf eines zielt: Druck auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden auszuüben, dass er möglichst bald alle Sanktionen aufhebt, die Donald Trump einseitig verhängt hat. Dann erst werde der Iran das im Sommer 2015 geschlossene Atomabkommen wieder einhalten, das dem Nuklearprogramm enge Grenzen setzt. Dabei spielt Teheran mit verteilten Rollen: Kompromissvorschläge wechseln sich mit Drohungen ab.
In Washington nannte der Sprecher des Aussenministeriums, Ned Price, Alavis Äusserungen «sehr besorgniserregend». Es sei aber nicht klar, ob Alavi für «irgendjemanden ausser sich selbst» gesprochen habe. Das allerdings ist kaum wahrscheinlich – vielmehr spricht einiges dafür, dass er mit seinen Aussagen ganz bewusst das Fundament der iranischen Nukleardiplomatie verrückt hat.
Die Katze aus dem Sack gelassen
Alavi ist Ayatollah, hat an der Ferdowsi-Universität der heiligen Stadt Mashhad in islamischem Recht promoviert. Ihm ist die Bedeutung von Khameneis Fatwa zweifellos klar. Zudem gehört der Geheimdienstminister zu den Regierungsmitgliedern, die der Oberste Führer selbst bestimmt, nicht der Präsident. Er hatte zuvor als Abgesandter Khameneis über die ideologische Linientreue der Streitkräfte gewacht. Es übersteigt die Vorstellungskraft, dass ausgerechnet dieser Mann ohne Billigung Khameneis die Fatwa öffentlich im Staatsfernsehen infrage stellt.
Das Atomabkommen hat den Zweifeln an der Belastbarkeit von Khameneis Aussage auf seine Art Rechnung getragen. Die Beschränkungen sind so gewählt, dass der Iran ein Jahr brauchen würde, um genug spaltbares Material für eine Bombe herzustellen. Diesen Zeitraum hat Teheran nach unterschiedlichen Berechnungen inzwischen wieder auf drei bis sechs Monate verkürzt.
Um daraus einen Sprengsatz zu bauen, wären nach Einschätzung des israelischen Militärgeheimdienstes noch einmal zwei Jahre nötig – Zeit für die Diplomatie. Einfacher werden die Bemühungen allerdings nicht, jetzt, nachdem Alavi die Katze aus dem Sack gelassen hat.
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