Im Helikopter abgestürzt Raisis Tod hat Folgen für den Iran und den Nahen Osten
Der iranische Präsident und sein Aussenminister sind tot. Für das Land stellen sich nun drängende Fragen – und für die bereits extrem angespannte Region ebenso.
Nach dem Unfalltod von Staatspräsident Ebrahim Raisi bemüht sich die Islamische Republik Iran um den Anschein der Normalität. Präsident Raisi war am Sonntag beim Absturz seines Helikopters im gebirgigen Grenzgebiet zum Nachbarstaat Aserbaidschan ums Leben gekommen und erst nach einer vielstündigen Suchaktion aufgefunden worden. Mit ihm starben Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian, weitere Offizielle und die Besatzung. (Lesen Sie das Porträt des iranischen Präsidenten: Wer war Ebrahim Raisi?)
Die Unfallursache ist noch unklar. Berichte über Fremdeinwirkung gab es bisher keine. Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei hat fünf Tage Staatstrauer angeordnet.
Für einen Mordanschlag spricht bisher nichts
Angesichts der wegen des Gaza-Kriegs extrem angespannten Lage im Nahen Osten gewinnt der Tod des iranischen Präsidenten erhöhte Aufmerksamkeit. Ayatollah Ali Khamenei, geistlicher Führer und Staatsoberhaupt der Islamischen Republik, hatte die Iraner schon nach den ersten Meldungen über Unklarheiten im Zusammenhang mit Raisis Flug ermahnt, sich «nicht zu sorgen». Er versicherte gemäss Agenturberichten lange vor der offiziellen Bekanntgabe von Raisis Unfalltod: «Es wird keine Störung der Staatsgeschäfte geben.»
Bisher spricht alles für einen Unfall. Die Maschine des 63-jährigen Raisi war nach iranischen Medienberichten am Sonntagvormittag gemeinsam mit zwei weiteren Regierungshubschraubern unterwegs gewesen. Der Präsident und Aussenminister Amir-Abdollahian waren bei der Einweihung eines Staudammes mit Ilham Alijew, dem Präsidenten des Nachbarlandes Aserbaidschan, zusammengetroffen. Raisis Helikopter wurde dann auf dem Rückflug über einer bewaldeten Bergregion in der Provinz Ost-Aserbaidschan nahe der Stadt Jolfa als vermisst gemeldet.
Anfangs berichteten die staatsnahen Medien nur von «einer harten Landung» des Präsidentenhubschraubers. Sie riefen die Bürger zu diesem Zeitpunkt aber bereits zu Gebeten für Raisi auf. Innenminister Ahmad Vahidi mahnte die Bürger, nur dem Staatsfernsehen zu glauben und ausländische Medien nicht zu verfolgen.
Die Unsicherheit über das Schicksal des Staatspräsidenten und des Aussenministers hatte am Sonntag viele Stunden angedauert. Das ausgebrannte Wrack wurde erst nach einer mehr als zwölfstündigen Suchaktion bei starkem Regen und in dichtem Nebel entdeckt; gemäss offiziellen Angaben gab es keine Überlebenden.
Die beiden anderen Helikopter waren planmässig am Ziel angekommen. Gemäss dem iranischen Staatsfernsehen hatte eine türkische Drohne die ausgebrannten Wrackteile gesichtet. Die türkischen Behörden erklärten, eine ihrer Drohnen habe einen Brand in dem Wald und «die Trümmer eines Hubschraubers» gesichtet.
Für einen Mordanschlag spricht bisher nichts. Wahrscheinlich ist technisches Versagen: Iranische Regierungsmaschinen sind wegen der seit Jahrzehnten geltenden Sanktionen völlig überaltert. Raisi soll in einem US-Hubschrauber vom Typ Bell 212 unterwegs gewesen sein. Modernisierte Varianten dieser in den späten Sechzigerjahren auf den Markt gebrachten Maschinen werden zwar bis heute auch bei der deutschen Polizei und der Bundeswehr geflogen. Die iranischen Maschinen stammen aber aus der Zeit vor der Islamischen Revolution von 1979. Sie konnten seitdem wegen Ersatzteilmangels infolge der amerikanischen und internationalen Strafmassnahmen nicht mehr systematisch gewartet werden.
Israel dementiert jegliche Beteiligung
Angesichts der nicht seltenen Attentate verschiedener militanter Oppositionsgruppen im Land ist der grundsätzliche Gedanke an einen Anschlag jedoch nicht abwegig. Auch Israel könnte – trotz eines sofortigen Dementis – als möglicher Saboteur unter Verdacht geraten. Die Geheimdienste des jüdischen Staates haben im Land immer wieder gezielte Tötungen iranischer Atomexperten verübt.
Als erklärter Feind Israels steht das iranische Regime seit Beginn des Gaza-Kriegs zudem unter maximaler Anspannung: Israel macht Teheran als Hintermann der Hamas für den Terroranschlag vom 7. Oktober mitverantwortlich. Teheran hatte Israel Mitte April zudem mit Hunderten Drohnen und Raketen attackiert. Vorausgegangen war der Tod mehrerer hoher iranischer Offiziere beim israelischen Bombardement des Geländes der iranischen Botschaft in Damaskus. Es war der erste militärische Angriff des Iran auf israelisches Staatsgebiet überhaupt.
Völlig offen ist, welche innenpolitischen Auswirkungen der Unfalltod des Präsidenten haben wird. Im Regierungssystem der Islamischen Republik nimmt nicht der Präsident, sondern der geistliche Führer die Rolle des Staatsoberhauptes ein. Dieser verfügt über allumfassende Richtlinienkompetenz. Der Staatspräsident ist dem geistlichen Führer untergeordnet und agiert als Regierungschef. Den Regeln der Islamischen Republik nach übernimmt nun der Erste Vizepräsident die Amtsführung, in knapp zwei Monaten wird ein Nachfolger im Präsidentenamt bestimmt.
Der in der Theologenstadt Mashhad geborene Raisi spielte aber eine wichtige Sonderrolle: Er galt als ein möglicher Nachfolger des greisen und angeblich schwer kranken Geistlichen Führers Ayatollah Khamenei, der bereits 85 Jahre alt ist. Auch wenn Raisis Rolle als Nachfolger nur als eine von mehreren Möglichkeiten galt, hätte der schiitische Geistliche in das derzeitige Set-up der Islamischen Republik gepasst: Als islamistischer Hardliner war er schon eine politisch massgebliche Figur der Revolutionsphase in den späten Siebziger- und in den Achtzigerjahren.
Raisi liess Hunderte hinrichten
Als für seine Härte berüchtigter Richter und Generalstaatsanwalt von Teheran und später als Generalstaatsanwalt des Iran zeichnete Raisi 1988 verantwortlich für die Massenhinrichtung Hunderter politischer Gegner des theokratischen Regimes. Auch bei dem landesweiten Aufstand der Frauen, der 2022 nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini ausgebrochen war, hatte sich der Präsident als theokratischer Betonkopf und Verteidiger des Kopftuchzwangs erwiesen.
Raisi war als Hojatolesalm ein hoher schiitischer Geistlicher und genoss zudem Ansehen als ein angeblicher Nachfahre des Propheten Mohammed. Den Titel eines Ayatollahs hatte er aber nicht inne. Dieser nur durch sehr lange theologische Studien erworbene Titel wäre Voraussetzung für die Übernahme des Amtes als geistlicher Führers gewesen. In dieser Frage hatte sich das theokratische System der Islamischen Republik allerdings früher pragmatisch gezeigt: Ayatollah Khamenei, der amtierende geistliche Führer, hatte den Titel trotz Zweifel an seiner theologischen Qualifikation im Schnellverfahren zugesprochen bekommen. Die Khamenei-Nachfolge ist jedoch völlig offen: Auch Khameneis Sohn Mojtaba soll Ambitionen zeigen.
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