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Interview zur Religionskrise
«Zu viele Staatsgelder landen bei kirchlichen Institutionen»

«Es geht schneller, als wir dachten.» Freidenker-Präsident Andreas Kyriacou über die Säkularisierung der Schweiz.
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Herr Kyriacou, Ihre Freidenker-Vereinigung setzt sich für die Anliegen der Konfessionslosen ein. Von diesen gibt es laut der jüngsten Statistik ja immer mehr. Rennen sie Ihnen die Türen ein, um Mitglied zu werden?

Ja, das müsste man annehmen, ist aber nicht der Fall. Wir sind eben anders als etwa der Mieter- oder der Hauseigentümerverband, bei denen alle genau wissen, welche Vorteile eine Mitgliedschaft bringt. Das ist für uns schwieriger zu vermitteln.

Hat Sie die neue Statistik überrascht?

Die Tendenz war absehbar. Aber bemerkenswert ist, dass es noch schneller geht, als wir dachten. Und weil es ja Zahlen von 2022 sind, kann man nicht mal sagen, dass der jüngste Skandal bei den Katholiken das noch beschleunigt hat. Diese weitere Welle von Austritten wird sich erst nächstes Jahr in den Statistiken niederschlagen. Jedenfalls ist der Trend klar: Die Schweiz geht immer mehr auf Distanz zur Religion.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe?

Die Leute können immer weniger damit anfangen, was die Religionsgemeinschaften ihnen zu bieten haben. Aber das ist nur die Begleiterscheinung einer viel grösseren Entwicklung: Wir können uns die Welt auch ganz ohne Religion immer besser erklären.

Ausser vielleicht, wenn es um Leben und Tod geht.

Es gibt auch plausible wissenschaftliche Antworten auf zentrale, existenzielle Fragen. Diese Antworten sind für viele heute zufriedenstellender und nachvollziehbarer als alles, was die Religionen zu bieten haben.

Und der Glaube an ein Leben nach dem Tod?

Viele glauben nicht mehr daran, sind nicht mal überzeugt, dass es einen Gott gibt. Trotzdem sind sie noch Kirchenmitglied. Aber sie beginnen intensiver darüber nachzudenken, was denn ihre Überzeugungen wirklich sind. Nach dem inneren Abschied kommt dann auch der Austritt. Die Leute merken, dass die Kirchen nicht glaubwürdig sind.

Ist der Trend weg von den Religionen unumkehrbar?

Auf alle Zeit hinaus zu sagen, es gehe so weiter, wäre spekulativ. Aber ich würde sagen, in Europa nimmt die Religionsferne ungebremst zu. Es gibt kein Anzeichen für eine Gegenbewegung. Für mich ist klar: Spätestens im nächsten Jahrzehnt wird sich mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung als religionslos bezeichnen.

Weltweit gilt ja der Islam nach wie vor als Wachstumsreligion…

… aber man weiss, dass in Saudiarabien die Bücher des bekannten Atheisten und Evolutionsbiologen Richard Dawkins millionenfach in arabischer Übersetzung heruntergeladen werden. Da muss man sich fragen: Geben die offiziellen Statistiken solcher Staaten ein realistisches Abbild davon, was die Bevölkerung wirklich glaubt?

Welche Bedeutung hat die zunehmende Zahl der Konfessionslosen für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der Schweiz?

Aus unserer Sicht heisst das natürlich, dass sich der Staat jetzt endlich dieser gesellschaftlichen Realität stellen muss. Er muss sich entschiedener von den Religionsgemeinschaften distanzieren. Der Staat soll kein atheistischer Staat sein. Er soll Religionsgemeinschaften lassen und sicherstellen, dass sie sich im Rahmen des Rechts bewegen. Aber er darf ihnen keinen Sonderstatus in der Gesellschaft mehr geben. Religionsgemeinschaften sollen nicht anders behandelt werden als andere zivilgesellschaftliche Gruppen.

Die Statistik zeigt, dass auch unter Konfessionslosen ein Bedürfnis nach Spiritualität herrscht. Konfessionslose suchen Spiritualität doch einfach ausserhalb der traditionellen Religionen.

Mehr als zwei Drittel der Personen ohne Religionszugehörigkeit sehen sich als weder spirituell noch religiös. Das ist auch die einzige Gruppe, die wächst. Als religiös sehen sich – wenig überraschend – nur wenige Prozent. Aber knapp 30 Prozent sagen von sich, dass sie eher oder sicher spirituell sind. Personen ohne Religionszugehörigkeit sind also eine deutlich homogenere Gruppe als die Personen, die sich einer Religion zugehörig fühlen.

Die Glaubensgemeinschaften nehmen für sich in Anspruch, gesellschaftlichen Kitt zu bilden. Geht nicht etwas Zentrales verloren, wenn die Religionen ihre Bedeutung verlieren?

Dezidiert nein: Bei den Schweizerinnen und Schweizern wächst die Zustimmung zu vielen gesellschaftliche Fragen, bei denen die Religionsgemeinschaften nach wie vor als Bremser auftreten. Denken Sie an die Abtreibung, an das Recht, sein Lebensende selbst zu bestimmen, oder an die Ehe für alle. Religionsgemeinschaften sind immer noch diejenigen Institutionen, die solche individuellen Freiheiten am ehesten ablehnen. Wenn diese Stimmen die Debatte nicht mehr dominieren, kommen wir eher zu Veränderungen, die ja eigentlich breit akzeptiert sind.

Und wie will die Freidenker-Vereinigung nun die Gunst der Stunde nutzen?

Wir müssen noch besser aufzeigen, welche Aufklärungsarbeit wir leisten. Denn nach wie vor landen zu viele Staatsgelder am Schluss bei kirchlichen Institutionen und werden für religiöse Zwecke verwendet.