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Rücktritt von Christoph Sigrist
Der Grossmünsterpfarrer tritt ab – und hat eine hoffnungsvolle Botschaft

Portrait von Grossmuenster-Pfarrer Christoph Sigrist.
Der Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist geht vorzeitig in Pension.
23..01.2024
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)
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Christoph Sigrist, Sie werden dieses Jahr 61 und gehen Ende Februar als Pfarrer am Grossmünster vorzeitig in Pension. Ist es Ihnen verleidet?

Überhaupt nicht. Ich finde einfach, nach 21 Jahren und als 61-jähriger Mann ist es Zeit, den Platz für eine jüngere Person zu räumen. Ich verhindere notwendige Innovationen, die anstehen, und ich möchte loslassen.

Zwischenfrage: Steht denn die Nachfolge noch nicht fest?

Nein. Ich bin ausserdem der Meinung, dass man zwischen 60 und 70 seine Kräfte fokussieren sollte, denn die Spannkraft lässt nach. Und ich fokussiere auf die Lehre und die Forschung zum Thema Diakonie, die mich von jeher begleitet.

Lauter persönliche Gründe. Haben Sie keine Frustrationen erlebt?

Das gehört doch dazu. Aber wenn du nach mehr als zwanzig Jahren immer noch mit Freude an deiner Aufgabe vom Grossmünster Abschied nimmst, ist das eine Gnade, ein Geschenk.

M TA 08.09.2006. 1. Spendenparlament der Schweiz in Zürich
Bildtext: mit Präsident Christoph Siegrist Pfarrer am Grossmünster

Was hat Sie denn frustriert?

Ich unterscheide zwischen grauer und blauer Musik. Die graue Musik hat mich mein Leben lang kaputtgemacht, weil sie mir Energie entzieht. Das sind die Stunden, die ich für Sitzungen, Strategien und Konzepte, eben für graues Papier, einsetzen muss.

Und die blaue Musik?

Das sind die Begegnungen und Beziehungen mit Menschen. Diese sind für mich die Bausteine des Pfarramts. Ich habe immer in einem Hosensack das Portemonnaie und im anderen die Bibel.

Der Pfarrer spricht in Bildern. Was heisst denn das genau?

Ich bekämpfe die Armut. Mit dem Portemonnaie und der Bibel. Ich habe immer viel Geld diakonisch gewaschen, also für Bedürftige eingesetzt, und die Bibel ist mein tägliches Instrument in der Seelsorge. Die Bibel spielt den Grundton der blauen Musik.

Von aussen gesehen spielt die Musik schon lange nicht mehr in den Kirchen. Ist die Kirche noch zu retten?

Das müssen wir gar nicht. Die Institution der reformierten Kirche muss nicht gerettet werden, sondern sie wird ständig und jetzt intensiv transformiert. Ich will weg vom Bild der sinkenden Titanic, hin zum Katamaran.

Die reformierte Kirche als Katamaran?

Früher schwammen auf dem Zürichsee zwei Raddampfer, ein katholischer und ein reformierter. Heute sind da eben viele kleinere, aber auch zeitgemässere Schiffe. Denn es gibt auch sehr viele unterschiedliche Passagiere, die eine Mitfahrgelegenheit suchen. Die Bevölkerung der Stadt Zürich hat in den letzten zehn Jahren eine enorme Veränderung durchgemacht. Wie schnell sie so viel vielfältiger geworden ist, das überrascht mich tatsächlich.

Deshalb ist der reformierte Katamaran ziemlich leer unterwegs.

Das stimmt doch überhaupt nicht. Gerade unsere Altstadtkirchen waren noch nie so voll wie in den letzten Jahren. Zusammen haben wir jährlich rund eine Million Besucherinnen und Besucher – ähnlich viele wie der Zoo Zürich. An einem Samstag versammeln sich an Spitzentagen bis zu 4000 Menschen im Grossmünster.

Touristen, aber doch nicht Gläubige! Diese treten in Scharen aus, und Sie müssen vor leeren Bänken predigen.

Auch viele Touristen sind doch Gläubige! Es stimmt aber, am Sonntagmorgen bleiben im Gottesdienst einige Bänke frei. Das Bedürfnis der Menschen auf spirituelle Nahrung, egal ob innerhalb oder ausserhalb der Institution Kirche, ist aber immer noch gross und nimmt eher zu. Ein Kirchenschiff, das sich die Nächstenliebe auf die Fahne schreibt und mit dem Wind segelt, steht allen offen, die auf ihm fahren wollen. Ich verstehe mich zusammen mit vielen Freiwilligen und Angestellten als Gastgeber.

Hat das nicht etwas Beliebiges? Wo ist denn da noch das «Reformierte»?

Zwingli hat sich dadurch ausgezeichnet, dass er sich dem Zeitgeist öffnete. Er säkularisierte die Ehe, verstaatlichte die Klöster, predigte in der Sprache des Volkes. Heute würde er ganz bestimmt die sozialen Medien nutzen. Seine Triebfeder war nur eines: In der Bibel steht, Gott nimmt immer Partei für die Armen. Also gilt es in der Gesellschaft, die Armut zu bekämpfen.

Und er warf die Bilder aus den Kirchen, was damals bestimmt nicht volksnah war.

Er verbannte die Bilder aus den Kirchen, weil diese dem Menschen als Opferstöckli für Totenmessen das Geld aus den Taschen zogen. Dafür brachte er Bilder in die Bibel. Denn sie animieren den Geist beim Lesen. Die Froschauer Bibel ist reich illustriert.

Wir sitzen gerade in der Sakristei des Grossmünsters, und hinter Ihnen an der Wand hängen die Bilder ihrer 33 Vorgänger. Tatsächlich bis zurück zu Zwingli. Glauben Sie, diese wären zufrieden mit Ihnen?

Schwierig zu sagen. Die Herren hinter mir konnten, wenn sie ihr Amt antraten, guten Mutes in die Fussstapfen ihrer Vorgänger treten. Das konnte ich nicht. Ich hatte keine Vorbilder, an denen ich mich orientieren konnte. Meine Generation Pfarrer und Pfarrerinnen sind Pioniere und Pionierinnen. Wir müssen erste Schritte machen, ohne zu wissen, wohin der zweite geht. Das ist lustvoll für einen Menschen wie mich, der gern immer wieder neue Wege sucht.

Diese Suche führt Sie in alle Gassen. Sie stellen riesige Zwinglifiguren in den Stadtzürcher Quartieren auf, inszenieren ein Freilufttheaterstück, beleuchten im Advent Kirchtürme, rufen einen Stadtsegen vom Kirchturm, halten Raver-Gottesdienste an der Street Parade. Das trägt Ihnen gelegentlich den Vorwurf ein, ein Hansdampf in allen Gassen zu sein.

Ein Hansdampf ist überall und nirgends. Das trifft für mich nicht zu, denn ich habe eine klare Kompassnadel, die mich dorthin weist, wo Menschen in ihrer Not schreien. Es ist eher so, dass es in allen Gassen dampft. Und dort, wo es dampft, ist der Platz von uns Kirchen. Das spüren wir gerade in dieser politisch doch sehr schwierigen Zeit. Wenn es rundum «tätscht und chlöpft».

Zwingli in Oerlikon
2019-10-31
BILD: RETO OESCHGER, ZUERICH
Zwingli in Oerlikon
Die Statue des Reformers steht auf dem Max-Bill-Platz

Sie haben vor 35 Jahren als Pfarrer in einem Weiler im Toggenburg angefangen, waren dann Armeeseelsorger und gehen demnächst als Grossmünsterpfarrer in Pension. Können Sie noch gleich predigen wie früher?

Es ist für mich sehr viel schwieriger geworden. Ich bin nicht mehr so sicher, welche Bilder religiös verankerte Wörter wie Evangelium oder Gott in den Herzen jener auslösen, die mir zuhören. Es fehlt mir manchmal die Gewissheit, dass wir von demselben sprechen. Früher hatten wir eine gemeinsamere Sprache.

Da wackelt aber einer der Grundpfeiler der reformierten Kirche, die stark auf die Sprache setzt.

Stimmt. Ein Gottesdienst im Grossmünster, in dem ich predige, kostet mich acht Stunden. Doch wenn ich den Segen vom Kirchturm rufe, erreiche ich möglicherweise mehr Menschen. Deshalb muss ja die Kirche raus in die Gassen. Und deshalb müssen die Kirchentore offen sein für alle. Wir müssen immer wieder und gemeinsam eine neue Sprache finden für die Geschichte von Gott und uns.

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Letzte Frage: Einer Ihrer beiden Söhne hat vor einem halben Jahr seine erste Pfarrstelle angetreten. Haben Sie ihm dazu geraten?

Wir haben nie gross darüber gesprochen. Daher hat es mich überrascht. Aber gefreut? Es freut mich ausserordentlich, dass es ihm an seiner Stelle in Walenstadt sehr gefällt.

Abschiedsgottesdienst am 3. März um 10 Uhr im Grossmünster.