Interview mit Anke Engelke«Ich möchte keine Hysterie, nicht dieses ‹Jetzt dürfen wir das auch nicht mehr sagen›»
Die Schauspielerin Anke Engelke hat eine neue Version des Kinderbuch-Klassikers «Häschenschule» gedichtet. Ein Gespräch über vegane Füchse, böse Bauern und ihren Traum vom Lehrersein.
Weil «Die Häschenschule» in diesem Jahr 100 Jahre alt wird, hat Anke Engelke eine neue Version des Kinderbuch-Klassikers gedichtet: «Die neue Häschenschule». Der Fuchs ist darin noch Kind, kommt als neuer Mitschüler in die Klasse voller Häschen und ist, potzblitz: Veganer. Als wahren Feind macht die – sehr liebe – Lehrerin stattdessen den Menschen aus, genauer den Bauern mit seinen Schädlingsbekämpfungsgiften und kreuzgefährlichen Mähdreschern. Zum Videogespräch kommt Anke Engelke sehr munter, trotz akuten Schlafmangels: Sie hat die ganze Nacht lang an einem Schal gestrickt, einem verspäteten Weihnachtsgeschenk für eine Freundin.
Hatten Sie «Die Häschenschule» selbst als Kind?
Anke Engelke: Ja, das Buch war auch schon gebraucht, also hatte meine ältere Schwester es wohl geschenkt bekommen. Es stand im Regal, aber es war nicht mein Lieblingsbuch. Unser Exemplar ist mit Buntstift zusätzlich koloriert. Ich gehörte zu diesen Kindern, die viel in Bücher reingemalt haben, sie als Malbücher missverstanden haben. Aber ich hatte coole Eltern, denen war das gerade wurscht.
Haben Sie das Buch vorgelesen bekommen?
Meine Eltern haben es uns vorgelesen. Ihre Anschlussfrage ist wahrscheinlich: Was war denn das für ein Haushalt, wenn da nicht schon aufgefallen ist, was es in dem Buch für Schieflagen gibt!
Aber nein, es ist eben ein Kinderbuch-Klassiker. Wenn auch einer, den man heute anders wahrnimmt.
Eigentlich rümpft man schon seit ein paar Jahrzehnten die Nase und sagt: Das ist alles überholt.
Hat Ihnen der autoritäre Hasenlehrer als Kind Angst eingejagt?
Dieses Bild des nach vorne gelehnten Lehrers auf dem Cover, der ja ursprünglich auch noch einen Stock in der Hand hatte, ich glaube, dass mich das irritiert hat. Aber ich möchte mich nicht klüger und reflektierter machen, als ich es damals war. Ich weiss nur, dass ich diese Strenge wahrgenommen habe. Aber ich hatte Gott sei Dank in der Grundschule so eine dermassen tolle Klassenlehrerin, dass sich niemand Sorgen machen muss, dass da irgendwas in mir kaputtgegangen ist.
Was haben Sie lieber gelesen als Kind?
Ich habe sehr viel Astrid Lindgren vorgelesen bekommen und selbst gelesen. Und ich bin ein James-Krüss-Kind. «Bienchen, Trinchen, Karolinchen» war eins meiner absoluten Lieblingsbücher. Wir hatten aber auch viele englischsprachige Bücher, weil wir damals in Kanada gelebt haben. Da war meine Nummer eins «Zeke Zoo Keeper». Das habe ich auch ausgemalt.
Und was an der «Häschenschule» hat sie sagen lassen: Davon braucht die Welt eine neue Version?
Das kam vom Verlag. Ich komme ja nie selber auf eine Idee. Ich würde nie sagen: Lass uns doch mal «Die Fahrschule der Marsmenschen» schreiben. Lass uns doch mal etwas erzählen über das Dorf der rückwärts sprechenden Menschen. Würde ich nicht. Die Idee käme mir nicht.
«Lasst uns mal gucken, ob wir das nicht ein bisschen moderner hinkriegen.»
Kam sie aber gerade.
Das stimmt. Also gut: Ich finde das Konzept Schule super. Ich habe auf Lehramt studiert, wenn auch nur bis zur Zwischenprüfung. Ich wollte immer Lehrerin werden. Sogar als ich während des Studiums beim Südwestfunk gearbeitet habe, wollte ich das noch. Mein sogenannter Fernseherfolg kam ja erst mit 30, als ich bei der «Wochenshow» anfing.
Und der autoritären Seite des Buches wollten Sie etwas entgegenstellen?
Mir gefällt es, etwas Vorhandenes neu anzugucken und aufzufrischen. Ich möchte ja auch Pippi Langstrumpf nicht verbieten, nur weil da Konzepte oder Vokabeln drin sind, die so nicht mehr gehen. So radikal ich auch manchmal im Privaten bin, so wenig möchte ich mit dem Hammer arbeiten. Da finde ich es gut, eine Vorlage zu nehmen und zu sagen: Der Kern ist doch okay, Leute, ist doch alles da. Lasst uns mal gucken, ob wir das nicht ein bisschen moderner hinkriegen.
Wie stehen Sie zum nachträglichen Ändern von Kinderbüchern, das oft so heftig debattiert wird?
Ich bin dafür, dass diese Bücher weiterhin da sind, aber ich bin auch für Änderungen einzelner Stellen. Wenn es Änderungen gab oder Streichungen, müssen die alle im Buch erklärt werden. Und dann geht es los, dann rein ins Vergnügen. Wie diese Änderungen im Detail aussehen, müssen wir noch miteinander verhandeln. Da zähle ich auf Menschen, die Weitsicht haben, die wissen, wie vorgelesen und gelesen wird.
Ein Vierjähriger wird so eine editorische Einführung kaum verstehen.
Dem Vierjährigen liest man eine neue Version vor. Aber wir müssen das wissen, denn wir sind nicht nur die, die vorlesen. Wir sind auch die, die sich mit anderen Eltern austauschen und verständigen. Ich möchte keine Hysterie, ich möchte nicht dieses «Jetzt dürfen wir das auch nicht mehr sagen». Das ist nur ein Zitat, dieser Satz wird mir selbst nie über die Lippen kommen. Uns wird nichts verboten, aber wir können doch von uns selber erwarten, uns auseinanderzusetzen.
Als Eltern lektoriert man ja oft live beim Vorlesen, zum Beispiel, weil manche Wörter doch noch zu kompliziert sind.
Ich finde das super, man wird kreativ. Wir sassen früher manchmal im Auto und es lief diese sehr gute Rap-Platte von Chilly Gonzales. Oder war es sogar Peter Fox? Da haben die Älteren im Auto an bestimmten Stellen laut gehustet und die Kleinen haben das übernommen – sie dachten, in dem Lied würde gehustet, dabei wurden da nicht jugendfreie Wörter benutzt. Das war das Lustigste. Das war sehr weit weg von Zensur, es wurde kreativ kuratiert. Kinder werden früh genug in die echte Welt mit all ihren Grobheiten geschickt. Aber man muss sie ja nicht sofort mit allem konfrontieren.
Ihr wichtigster Eingriff bei der «Häschenschule» ist, dass der Fuchs nicht mehr der Feind ist. Das sind die Bauern, die mit Gift arbeiten und gefährlichen Maschinen. Warum so pädagogisch?
Damit habe ich sehr gehadert. Dem Team vom Verlag war wichtig, dass es auch in der neuen Version einen Konflikt oder eine Gefahr gibt. Also haben wir entschieden, die frische Freundschaft von Hase und Fuchs ins Gefahrenzentrum zu packen. Der Schrecken ist jetzt eine grosse Mähmaschine. Aber auf dem Weg dorthin sollte der Unterricht noch etwas beinhalten.
Den Bauern wird das nicht gefallen.
Ich möchte den Kindern auch nicht das Bild nehmen, dass es schön wäre, später Bauer zu werden. Aber den Menschen zum Buhmann zu machen, das musste ich für die Geschichte in Kauf nehmen.
Die Tierwelt ist heute in vielen Erzählungen eine heile Welt, die der Menschenwelt entgegengesetzt wird. Woran liegt das?
Ich hatte das Privileg, Peter Wohlleben kennenzulernen, den vermutlich berühmtesten Förster Deutschlands. Für ein anderes Projekt habe ich mit ihm eine Tour durch seinen Wald gemacht und begriffen: Der Wald kommt sehr gut ohne uns klar. Das war eine schöne Erkenntnis. Der Wald kann sich wehren, auch gegen Tiere, die Triebe abknabbern. Und die Tierwelt kommt auch klar. Fun Fact: Die Natur gibt es schon länger als uns. Wir sind die Neuen. Wir machen viel kaputt.
Werden die Kinder da nicht zu kleinen Misanthropen?
Null. Mein Anliegen war, zu sagen: Guck mal, das ist ein ganz neuer Aspekt, den gebe ich dir jetzt auch mal mit. Dass wir als Menschen ganz schön viel falsch machen. Wir müssen uns überlegen, wie wir das in Zukunft anders machen. Ich biete keine Lösung an. Das wäre ja auch eine Option gewesen zu sagen, ab jetzt wird nur noch per Hand gemäht. Aber das wäre ja auch falsch. Ich lass sie da leider ein bisschen alleine. Ich muss davon ausgehen, dass es Gespräche anregt. Das finde ich so wertvoll. Ein Buch muss für mich nicht in einer Sitzung zu Ende gelesen werden. Wenn das Gespräch abdriftet: herrlich, das wäre für mich das Allerschönste.
Als Kind haben Sie für den Rundfunk Astrid Lindgren interviewt. Wie war das?
Ich bin ein Pippi-Langstrumpf-Mädchen, deshalb war das toll für mich. Aber ich war noch so klein, dass ich nur gelernte Erinnerungen daran habe und ein paar Bilder im Kopf: irgendwelche knarzenden Treppenstufen, Holz, ein guter Geruch, ein Blick aus einer kleinen Küche auf ein verschneites Stockholm, das ist alles völlig verkitscht.
Was waren Sie für ein Kind?
Ich bin sehr lange Mädchen gewesen. Dass ich in dem Alter, als ich Astrid Lindgren interviewt habe, also mit elf, zwölf, immer noch selbst ihre Bücher las, das war eigentlich total uncool. Man hörte da auch Pink Floyd, während ich noch in meiner Abba-Phase war. Die Pubertät fand bei mir wahnsinnig spät statt. Ich bin auch bis heute immer fünf bis zehn Jahre hinterher. Wie gesagt, ich war schon 30, als ich mit der «Wochenshow» bekannt wurde, und noch älter, als ich mit «Ladykracher» angefangen habe. Man verortet mich da immer wieder falsch, und ich muss dann sagen, ja, das ist schön, wenn ich jünger ausgesehen haben sollte, aber ich hab’ einfach wahnsinnig lange gebraucht, um alles zu begreifen.
«Ich finde Pädagogik wahnsinnig interessant.»
Die verlängerte Idylle der Kindheit – hat da Astrid Lindgren Ihre Weltsicht geprägt?
Für mich war die Welt schwedisch. Bullerbü ist bis heute, ist bis heute meine Vorstellung des perfekten Familienurlaubs, dabei habe ich dort noch nie Urlaub gemacht. Ein grosses Thema für mich ist bis heute auch humorvolles Streiten. Das habe ich von Astrid Lindgren. Und die Liebe zu verschrobenen, abseitigen, etwas skurrilen Figuren, die ich dann ja auch bei «Ladykracher» alle spielen wollte. Die Inspiration für vieles kommt aus Bullerbü.
Hatten Sie auch selbst so eine idyllische Kindheit?
Yes, yes. Absolut idyllisch. Ich bin in Rösrath bei Köln zur Schule gegangen. Ich arbeite in einem Geschäft, das der grösste Idiotenhaufen sein kann, da find’ ich das ganz gut, aus Rösrath zu sein. Und Eltern gehabt zu haben, die zu meinen frühen Radio- und Fernsehaktivitäten gesagt haben: «Muss das denn jetzt sein? Wie jetzt, Bob Marley interviewen, das ist am Mittwoch. Wenn das in den Ferien ist, kannst du es machen.»
In den kommenden Jahrzehnten werden den Schulen Tausende Lehrer fehlen. Würden Sie noch mal umschwenken?
Den fernen Traum gibt es noch, den träum’ ich ins Universum hinein. Ich finde Pädagogik wahnsinnig interessant. Vielleicht dränge ich mich der Schule noch mal auf.
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