Warnung vor vollen SpitälernIn Zürich wird operiert wie vor der zweiten Welle
Die Kantone müssen in ihren Spitälern Platz schaffen für Corona-Patienten. Laut dem Bundesrat tun das nicht alle gleich engagiert. Im Visier hat er insbesondere Zürich.
Erst wenige Tage ist es her, da gab sich Bundesrat Alain Berset gelassen. Auf die Frage, ob denn die Intensivstationen der Schweizer Spitäler der zweiten Corona-Welle standhalten würden, antwortete er im Interview mit der NZZ: «Wenn wir im Bundesrat überzeugt wären, in zehn Tagen seien die Spitäler in der ganzen Schweiz überlastet, hätten wir noch strengere Massnahmen beschlossen.» Vor diesem Szenario hatten zuvor sowohl die wissenschaftliche Taskforce als auch ein Vertreter der Armee gewarnt, die die schweizweite Erfassung der Spitalkapazitäten koordiniert.
Inzwischen ist beim Gesundheitsminister die Gelassenheit weg. An der Pressekonferenz des Bundesrates am Mittwoch empörte sich Berset darüber, dass ein Teil der Kantone immer noch nicht dringende medizinische Eingriffe durchführe. «Es gibt Kantone, die immer noch ein Vollprogramm an Wahleingriffen fahren. Es schwer verständlich, dass diese so weitermachen, als wäre nichts geschehen.» Berset forderte mehr Solidarität und Koordination unter den Kantonen.
Bereits vor der Pressekonferenz hatte der Bundesrat zusammen mit der Gesundheitsdirektorenkonferenz einen Brief an alle Kantone geschrieben. Es sei ihre Pflicht, für genügend Behandlungskapazitäten für Corona-Patienten zu sorgen, wird den Kantonen mitgeteilt und dabei auch auf die Corona-Verordnung verwiesen. Wie der Sprecher der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) ausführt, betrifft diese Abmahnung nicht alle Kantone. In den Westschweizer Kantonen seien die nicht dringlichen Eingriffe bereits weitgehend eingestellt worden – auch in den Privatspitälern. Andere Kantone wie Bern, die beiden Basel oder die der Zentralschweiz schränkten nicht dringliche Eingriffe sukzessive ein.
Nicht als Positivbeispiel erwähnt wird vom Sprecher der GDK ausgerechnet Zürich. Der Kanton verfügt über die mit Abstand grössten Spitalkapazitäten der Schweiz. 328 Plätze auf Intensivstationen sind in Zürich vorhanden. 220 waren am Mittwoch belegt, 52 von Corona-Patienten. Der Vergleich mit den Zahlen vor einer Woche zeigt, dass Zürich bislang vor allem Reserven abbaut, um Corona-Patienten aufnehmen zu können. Die Zahl der Nicht-Corona-Patienten auf den Intensivstationen hat sich nur wenig reduziert. Vor einer Woche waren 200 Plätze belegt, bei 20 Corona-Patienten.
Zürich übernimmt Patienten aus anderen Kantonen
Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) wollte sich am Mittwoch noch nicht zur Aufforderung aus Bern äussern. Bis anhin hatte sie es den Spitälern überlassen, für die nötigen Kapazitäten in der zweiten Welle zu sorgen. Alle Zürcher Spitäler arbeiten eng zusammen und verlegen Corona-Patienten untereinander, wenn ein Spital besonders stark belastet ist. So mussten sie bisher noch kaum geplante Operationen absagen. Einzelne Spitäler haben auch schon Corona-Patienten aus anderen Kantonen aufgenommen. So liegen derzeit auf der Intensivstation der Klinik Hirslanden vier Corona-Patienten aus den Kantonen Aargau und Schwyz.
Das Universitätsspital Zürich hat bisher weder Wahleingriffe abgesagt noch ausserkantonale Corona-Patienten behandelt. Direktor Gregor Zünd kündigt aber an, man werde demnächst ein bis zwei Intensivpatienten aus Genf übernehmen. Auch sei am Mittwoch das Operationsprogramm leicht reduziert worden, damit mehr Personal für die Intensivstationen zur Verfügung stehe. Denn der Flaschenhals sei das Personal, nicht der Platz. Die Bettenkapazitäten könne das Unispital innert 48 Stunden massiv erhöhen.
«Ich glaube nicht, dass die Spitäler schon in fünf Tagen voll sind.»
Schweizweit war die Zahl der Intensivbetten während der ersten Corona-Welle im Frühjahr kurzzeitig von knapp 1000 auf rund 1600 erhöht worden. Aktuell sind es gut 1100. Ein Drittel ist noch frei. In Zürich ist die Situation wie in Bern und Basel-Stadt leicht besser als im Schweizer Durchschnitt. Bundesrat Berset bezeichnete die Lage vor allem in der Westschweiz als sehr angespannt. In einigen Kantonen gerieten die Intensivstationen an ihre Kapazitätgrenze. Die Hospitalisationen von Corona-Patienten würden auch in den kommenden Tagen weiter ansteigen.
Die vom Bundesrat und den Kantonen beschlossenen Massnahmen beginnen laut Berset zu wirken. Bei den Neuansteckungen habe sich die Kurve abgeflacht. Allerdings sei eine deutliche Reduktion der Ansteckungen nötig, um eine Überlastung der Spitäler zu verhindern. Am Dienstag hatte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) noch prognostiziert, dass die Intensivstationen in fünf Tagen voll ausgelastet sein würden. Diese Aussage relativierten am Mittwoch sowohl Berset wie auch das BAG. «Ich glaube nicht, dass wir in fünf Tagen so weit sind», sagte der Bundesrat.
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