Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Forderung nach einem Weltparlament
In der Krise sollen die Länder gemeinsam handeln

Die internationale Gemeinschaft brauche mehr Demokratie, sagt Daniel Jositsch. Eine Art Nationalrat für die Vereinten Nationen (UNO) soll Abhilfe schaffen.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Vom liberalen Kurs Schwedens bis zum rigorosen Durchgreifen in China: Auf die Corona-Krise hat jedes Land seine eigene Antwort. Die Folgen der Pandemie kriegen aber alle Staaten zu spüren. Für Daniel Jositsch ist klar: Etwas muss geschehen. Seit Jahren fordert er eine Art Nationalrat für die Vereinten Nationen (UNO). Nun fühlt er sich bestätigt. «In der Corona-Krise haben wir erst gemerkt, dass wir nicht allein sind», sagt der Zürcher SP-Ständerat. Arbeitslosigkeit, Armut, sinkender Konsum – die Weltwirtschaftskrise werde alle Länder treffen, wie klug auch immer ihre nationale Strategie zur Bewältigung der Pandemie gewesen sei.

Jositsch engagiert sich in der Organisation «Demokratie ohne Grenzen», die ein UNO-Weltparlament als erstes Ziel hat. Ein solches Parlament würde die Länder gemäss ihrer Bevölkerungsgrösse abbilden, anders als die heutige Generalversammlung, die eine Art Ständerat ist. Die UNO hätte damit ein Zweikammersystem. Seit der Gründung vor 75 Jahren sei die UNO-Charta nie angepasst worden, obwohl eine Ergänzung damals erklärtes Ziel gewesen sei, sagt Jositsch. Auch die Klimapolitik und andere ausserordentliche Fragen hätten gezeigt, dass die internationale Gemeinschaft mehr Demokratie brauche. Die Corona-Pandemie liefere den letzten Beweis. «Der UNO-Generalsekretär António Guterres hat sie als grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet – gleichwohl ist es dem Sicherheitsrat nicht gelungen, das Thema zu traktandieren. Von einer gemeinsamen Strategie keine Rede», sagt Jositsch.

«Der UNO-Generalsekretär hat die Corona-Pandemie als grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Trotzdem ist es dem Sicherheitsrat nicht gelungen, das Thema zu traktandieren.»

Daniel Jositsch, SP-Ständerat

Damit wird ein Vorstoss aktuell, den Jositsch Ende 2018 mit der Unterstützung des gesamten Ständerats eingereicht hat. Er verlangt darin vom Bundesrat einen Bericht über die Einschätzung zur Demokratiequalität der UNO, zu allfälligen Verbesserungsmassnahmen und zur Frage, ob der Bundesrat die Schaffung einer parlamentarischen Versammlung in der UNO als zweiter Kammer, analog dem schweizerischen System, als zweckmässiges Modell erachte.

Der Bundesrat schien dem Thema gewogen, jedenfalls empfahl er das Postulat zur Annahme. Wie die Einschätzung im Bericht ausfällt, wird sich weisen. Der Bericht ist derzeit in Arbeit. Eine Publikation sei für Anfang 2021 zu erwarten, sagt Pierre-Alain Eltschinger, Sprecher des Aussendepartements. Vorher geht der Entwurf noch zum Bundesrat in die Konsultation. Ob der Bundesrat die Schaffung eines Weltparlaments empfehlen oder davon abraten wird, kann Eltschinger nicht einschätzen.

Die Schweiz hätte wenig Gewicht

Sicher ist, dass die Idee zwar in allen Parteien von SP bis SVP Sympathisanten hat – jedoch unter Aussenpolitikern und in der Diplomatie auch Skepsis hervorruft. Zum einen gibt es heute schon zahlreiche Gremien, vom Europarat bis zur OSZE, in denen Fragen von internationaler Bedeutung diskutiert werden können. Zum anderen hätte die Schweiz in so einer Volkskammer einen verschwindend kleinen Sitzanteil. Berechnungen haben ergeben, dass das Kräfteverhältnis China - Schweiz 168 zu 1 betragen würde. Hätte die Schweiz einen Sitz, müsste China gemäss seiner Bevölkerungszahl 168 Sitze bekommen. Bei diesem Szenario hätte das Weltparlament insgesamt 900 Sitze. Würde man jedoch auch dem Fürstentum Liechtenstein einen Sitz geben, müsste das Weltparlament insgesamt 200’000 Sitze haben. Zudem ist im Aussendepartement auch technische Kritik zu vernehmen: Gerade in WHO-bezogenen Gesundheitsfragen wie der Corona-Pandemie hätte ein UNO-Weltparlament womöglich keine Handhabe, da die WHO von der UNO unabhängig agiert.

Das seien Detailfragen, mit denen man sich in diesem frühen Stadium nicht auseinandersetzen müsse, sagt EVP-Nationalrat Nik Gugger, der die Idee Jositschs unterstützt. «Es ist doch ein guter Ansatz. Die Welt ist ein Dorf, und mit der digitalen Vernetzung eröffnen sich Möglichkeiten für eine Versammlung im virtuellen Raum, was die Realisierung einfacher macht.»

Warnung vor dem Rückzug

Nicht nur «Demokratie ohne Grenzen» warnt vor einer zu engen Weltsicht – auch der Thinktank Avenir Suisse hat das Thema in einer Anfang Woche publizierten Analyse aufgegriffen. Darin warnen die Autoren vor einer Rückkehr zum Nationalstaaten-Denken. Die Schweiz als eines der globalisiertesten Länder sollte dem Reflex zum Rückzug in den Kokon keinesfalls nachgeben, so der Befund. Denn «Wohlfahrtsgewinne aus der internationalen Arbeitsteilung sind bei uns weitaus am höchsten», eine Rückabwicklung von Wertschöpfungsketten würde zu spürbaren Verlusten führen.

Wie das globale Miteinander zu gestalten ist, ob und in welcher Form die Demokratie ausgebaut werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Es gäbe auch die Möglichkeit, die bestehende interparlamentarische Union zu stärken, die im Februar in New York getagt und sich unter anderem mit einem Weltparlament beschäftigt hat. Oder die Demokratisierung einzelner Länder voranzutreiben. Auch der Austausch zwischen nationalen Parlamenten könnte gefördert werden, und schliesslich könnten sich diese Parlamente stärker mit UNO-Anliegen beschäftigen.