Treffen der VerbündetenIn den USA mehren sich die Israel-kritischen Stimmen
Premier Naphtali Bennett trifft mit Präsident Joe Biden auf einen bedingungslosen Verbündeten. Doch vor allem junge Demokraten und Demokratinnen haben Verständnis für die Palästinenser.
In den USA wird der Besuch des neuen israelischen Premiers Naphtali Bennett von manchen als Neuanfang bezeichnet. Das kann man so sehen. Bis vor einigen Monaten regierten in Washington und Jerusalem Donald Trump respektive Benjamin Netanyahu, die ein kumpeliges Duo ergaben. Trump liess Netanyahu im Umgang mit den Palästinensern freie Hand, schenkte ihm eine US-Botschaft in Jerusalem und die Anerkennung der Golanhöhen als israelisch. Im Gegenzug schloss Netanyahu Frieden mit einigen arabischen Ländern, mit denen Israel meist keinen Krieg geführt hatte.
Jetzt hat das Personal gewechselt, statt Trump sitzt Joe Biden im Weissen Haus, Netanyahu wurde von Bennett abgelöst. Wird nun alles gut? Wird Amerika wieder zum «ehrlichen Makler», der sich um Frieden zwischen Israel und den Palästinensern bemüht?
Eher nicht. Dass Biden an der Allianz mit Israel nicht rütteln will, konnte man im Mai während des Gaza-Kriegs sehen. Da war es Joe Biden, der dem damals noch regierenden Netanyahu weitgehend freie Hand liess. Wer – wie man hinzufügen muss, in sehr naiver Verkennung der Lage – auf eine grundlegende Neukalibrierung der amerikanischen Nahostpolitik unter Biden gehofft hatte, wurde enttäuscht.
Wollte Teheran eine Bombe bauen, brauchte es dafür wohl nur ein paar Monate.
Das ist beruhigend für Bennett, der, was die Palästinenser angeht, kaum weniger Hardliner ist als Netanyahu. Aber wenn Bennett aufgepasst hat, dann hat er gemerkt, dass es nicht «die Amerikaner» waren, die Israel im Krieg gegen die Hamas den Rücken gestärkt haben. Es waren nicht einmal «die Demokraten», auf die Israel sich bisher stets verlassen konnte. Es war Joe Biden persönlich – obwohl der linke Parteiflügel empört aufschrie und selbst viele Mitte-Demokraten Israel schärfer denn je kritisierten. Das war eine Warnung: Israels Status als fast unantastbarer Verbündeter ist in Washington nicht auf ewig garantiert. Joe Biden ist einer der Letzten, der die Allianz noch so bedingungslos sieht.
Biden steckt bis zum Hals in der Afghanistan-Krise. Diese hat er zum Teil selbst zu verantworten. Zum Teil aber hat er sie von Trump geerbt, der Anfang 2020 mit den Taliban einen Abzugsvertrag ausgehandelt hat, der einer Kapitulation der USA gleichkam. Das amerikanisch-israelische Verhältnis leidet unter einer ähnlichen Erblast: dem Iran und dessen Nuklearprogramm. Trump hatte, sehr zur Freude Netanyahus, das Atomabkommen mit Teheran 2018 gekündigt. Trotz neuer, harter Sanktionen ist der Iran seither dem Besitz von Atomwaffen deutlich näher gekommen. Wollte Teheran eine Bombe bauen, brauchte es dafür wohl nur ein paar Monate.
Streit um das Atomabkommen
Biden und Bennett wollen dieses Problem lösen, allerdings auf unterschiedliche Art. Der US-Präsident möchte das Atomabkommen wiederbeleben, was sich als schwierig erweist. Der israelische Premier will hingegen eine militärische Drohkulisse aufbauen, was ohne die glaubhafte Unterstützung der US-Regierung nicht geht. Netanyahu hat immer wieder versucht, Washington öffentlich auf die militärische Option festzunageln. Biden wird sich eine derartige Guerilla-Diplomatie nicht bieten lassen. Ein Krieg gegen den Iran ist so ziemlich das Letzte, was er will.
Wenn die Vergangenheit so bestimmend ist für die Gegenwart, kann man wohl kaum von einem Neuanfang sprechen. Eher von einer Fortsetzung: neue Personen, aber die alten Probleme.
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