Regierungsbildung in IsraelJetzt spricht auch Netanyahu von «Wahlbetrug»
Der Noch-Premier kämpft mit fast allen Mitteln um seine Macht – so wie sein Freund Donald Trump. Nun hat der Chef des Inlandgeheimdienstes dazu aufgerufen, die Hetzkampagnen einzustellen.
Israel muss bis zur Abstimmung über eine neue Regierung noch eine Phase der Unsicherheit überstehen. Parlamentssprecher Jariv Levin vermied es am Montag, einen Termin für ein Vertrauensvotum und die mögliche Vereidigung in der Knesset festzusetzen. Abgestimmt werden muss innerhalb einer Woche, also bis Montag, 14. Juni. Die Protagonisten der neuen Koalition, die Premierminister Benjamin Netanyahu nach zwölf ununterbrochenen Jahren im Amt ablösen wollen, drängen auf einen möglichst früheren Termin, um die enorm angespannte politische Lage im Land zu beruhigen.
Levin, der zu Netanyahus Likud-Partei zählt, will offenkundig noch die Möglichkeiten offenhalten, Abtrünnige im Lager der neuen Koalitionäre zu finden und so die Regierungsbildung zu verhindern. Das geplante Regierungsbündnis mit dem designierten Premierminister Naphtali Bennett an der Spitze verfügt nur über eine denkbar knappe Mehrheit von 61 der 120 Parlamentssitze. Es setzt sich aus insgesamt acht sehr heterogenen Parteien zusammen: drei von rechts, zwei von links, zwei aus dem Zentrum sowie einer arabischen Partei.
Warnung vor Gewalt
In der aktuellen Zeit des Übergangs ist das politische Klima im Land selbst für israelische Verhältnisse sehr aufgeheizt. In einem ungewöhnlichen Schritt hatte deshalb der Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Nadav Argaman, am Wochenende vor einer gewaltsamen Entladung gewarnt und alle Verantwortlichen aufgefordert, verbal abzurüsten und Hetzkampagnen einzustellen.
Gerichtet war das, ohne Namensnennung, vor allem an das Lager um Netanyahu. Aus dem Likud werden Abgeordnete der künftigen rechten Koalitionsparteien offen als «Verräter» gebrandmarkt. Zu mehr als einem Lippenbekenntnis gegen jede Form von Hetze konnte sich Netanyahu in einer Reaktion allerdings nicht aufraffen. Vielmehr stellte er sich und seine Familie selbst als vorrangiges Opfer solcher Nachstellungen hin – und ging sogleich wieder zur Attacke über.
In der Art Donald Trumps
Nach Art des früheren US-Präsidenten Donald Trump sprach er mit Blick auf die angestrebte neue Regierung «vom grössten Wahlbetrug in der Geschichte des Staates». Er steigerte sich sogar noch in der Formulierung zum «grössten Betrug in der Geschichte der Demokratie». Deshalb fühlten sich die Menschen «getäuscht» und würden entsprechend reagieren, erklärte er bei einer Fraktionssitzung seiner Likud-Partei.
Unterstützung bekam Netanyahu noch von einer einflussreichen Gruppe nationalreligiöser und ultraorthodoxer Rabbiner. «Alles» müsse unternommen werden, um die Vereidigung der neuen Regierung zu verhindern, erklärten sie in einem offenen Brief. Dazu sei es «noch nicht zu spät».
Vor Häusern der Abgeordneten wird demonstriert
Ziel des Drucks von rechts sind vor allem die Mitglieder von Naphtali Bennetts Jamina-Fraktion. Einer der vormals sieben Abgeordneten hatte sich bereits frühzeitig entschieden, die neue Koalition nicht zu unterstützen. Nach einer Jamina-Krisensitzung wurde vermeldet, dass alle anderen an Bord blieben. Dennoch wird weiter vor ihren Wohnhäusern demonstriert. Vier Jamina-Politiker haben inzwischen Personenschutz. Zwei Abgeordnete meldeten bereits, sie würden persönlich verfolgt. Selbst ihren Kindern wird Berichten zufolge auf dem Schulweg nachgestellt.
Jamina-Chef Bennett klagte bei einer vom Fernsehen übertragenen Ansprache in der Knesset über eine «gewalttätige Maschine», die gezielt in Gang gesetzt worden sei. Direkt an Netanyahu gewandt, sagte er: «Lass los und erlaube es Israel, nach vorn zu gehen.» Als Reaktion auf die Likud-Warnungen vor einer «gefährlichen linken Regierung» erwiderte er, das neue Bündnis sei noch «zehn Grad rechter» als die bisherige Regierung Netanyahus. «Es ist den Bürgern erlaubt, für eine neue Regierung zu stimmen, selbst wenn diese Regierung nicht von dir geführt wird», beschied er Netanyahu.
Doch kein erneuter Flaggenmarsch
Bennetts Partner Yair Lapid von der liberalen Zukunftspartei wandte sich direkt an Netanyahus Anhänger, um die Spannungen abzubauen. «Diese Regierung wird auch eure Regierung», versicherte er ihnen. «Sie wird für euch arbeiten und euch respektieren.»
Entschärft wurde am Montag indes die Gefahr einer neuen Eskalation in Jerusalem. Nationalistische jüdische Gruppierungen, die für Donnerstag einen Flaggenmarsch durch das muslimische Viertel der Altstadt angekündigt hatten, zogen ihre Pläne zurück, nachdem die Polizei Einschränkungen bei der Route verfügt hatte. Der vorige Flaggenmarsch am 10. Mai hatte den jüngsten Gazakrieg ausgelöst. Auch nun hatte die palästinensische Hamas bereits wieder zur Verteidigung Jerusalems aufgerufen und mit einer Wiederaufnahme des Raketenbeschusses gedroht.
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